
Präsidentschaftswahl in Polen Eine Frage der Mobilisierung - jetzt erst recht
Nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahl hofft PiS-Kandidat Nawrocki, das rechte Spektrum zu vereinen und so die Wahl zu gewinnen. Rechnerisch könnte das aufgehen. Aber ist es so einfach?
In den kommenden zwei Wochen steht den Polinnen und Polen ein intensiver, emotionaler, gar brutaler Wahlkampf bevor: Das ist der Grundtenor der Analysen am Tag nach dem ersten Wahlgang für das Amt des polnischen Staatspräsidenten.
Schon in den letzten Tagen vor der Wahl haben die beiden Hauptkonkurrenten bewiesen, dass sie nicht gerade zimperlich sind, wenn es darum geht, einander politisch, aber auch persönlich anzugreifen. Und der Ton dürfte sich in den kommenden zwei Wochen weiter verschärfen. Denn es gehe, so ein Kommentator im polnischen Radio, um jede einzelne Stimme.
Die extreme Rechte überrascht
Dass es knapp werden würde zwischen dem Kandidaten der liberal-konservativen Bürgerplattform, Rafał Trzaskowski (31,4 Prozent), und dem für die nationalpopulistische PiS antretenden Karol Nawrocki (29,5 Prozent), war abzusehen. Auch wenn der Abstand zwischen ihnen geringer ausfällt als zuvor prognostiziert.
Überraschend aber ist der Erfolg der extremen Rechten, Sławomir Mentzen von der rechtslibertären Konfederacja (14,8 Prozent) und dem rechtsradikalen Antisemiten Gregorz Braun (6,3 Prozent). Von den insgesamt 13 Kandidatinnen und Kandidaten konnten sie den dritten und vierten Platz belegen.
Zudem kommen sie gemeinsam auf die Zahl der Stimmen, die dem Nationalpopulisten Nawrocki zur für den Wahlsieg benötigten absoluten Mehrheit verhelfen könnten.
Keine einfache Addition der Lager
Nun seien aber Wählerinnen und Wähler keine Bauklötze, die man einfach von einem Kandidaten zum anderen schieben könnte, kommentiert ein Analyst am Morgen im polnischen Radio das Wahlergebnis. Für die Stichwahl gebe es noch viel mehr Faktoren zu beachten als einfach nur, die Stimmanteile des rechten Lagers zu addieren.
So schließt der Warschauer Politologe Wojciech Rafałowski nicht aus, dass die Wählerinnen und Wähler des rechtsradikalen Braun beim zweiten Wahlgang gar nicht mit abstimmen, weil ihnen PiS-Kandidat Nawrocki mit seinen Forderungen nicht weit genug geht.
Mit direkter Ansprache gepunktet
Umgekehrt habe der rechtslibertäre Mentzen auch deswegen so viele junge Menschen für sich eingenommen (bei den 18- bis 29-Jährigen holte er mit 36,1 Prozent die mit Abstand meisten Stimmen), weil er sie als einer der wenigsten direkt angesprochen hat.
Die etablierten Parteien hätten die jungen Polinnen und Polen lange vernachlässigt und ihnen auch in diesem Wahlkampf keine konkreten Angebote gemacht, so der Politologe Rafałowski.
Sollte sich Trzaskowski nun aber, wie versprochen, mehr ihren konkreten Problemen und Bedürfnissen zuwenden, könnte er hier durchaus Stimmen gewinnen - vor allem, weil der junge Wählerkreis in seinen Entscheidungen noch weitaus flexibler sei und nicht in dem klassischen "Duopol" denke, dem Zweikampf zwischen der liberal-konservativen Bürgerplattplattform und der nationalpopulistischen PiS.
Im eigenen Lager Glaubwürdigkeit verloren
Zugleich habe Trzaskowski im Wahlkampf einen großen Fehler gemacht, indem er sich nach und nach von seinen linksliberalen Ansichten distanzierte und in einigen Punkten ungewöhnlich weit nach rechts rückte, wie beispielsweise mit der Forderung nach einer restriktiven Migrationspolitik, sagt Rafałowski.
Aus dem konservativen Lager dürfte ihm das kaum Stimmen gebracht haben, dafür habe er bei seiner eigenen Wählerschaft an Glaubwürdigkeit eingebüßt, sagt Anna Siewierska, Politologin Uni Rzeszow.
Denn in Polen gehe es bei Wahlen immer auch um Authentizität. Wer diese verspielt, hat laut Siewierska keine Chance.
Quittung für nicht gehaltene Versprechen
Entsprechend sei das Wahlergebnis auch als gelbe Karte für die Regierung der Bürgerkoalition unter Donald Tusk zu verstehen, kommentiert die Warschauer Politologin Anna Wojciuk im frauenpolitischen Magazin "Wysokie obcasy" (zu Deutsch "hohe Absätze").
Die Bürgerkoalition hatte die Liberalisierung des restriktiven Abtreibungsverbots, welches die vorherige PiS-Regierung beschlossen hatte, im Herbst 2023 zum Wahlkampfthema gemacht und damit viele Menschen mobilisiert. Doch bekam der Gesetzentwurf letztlich keine Mehrheit im Parlament. Die Enttäuschung darüber hat auch Auswirkungen auf den Präsidentschaftskandidaten der Bürgerkoalition, Trzaskowski.
Werben um Partner und Wähler
Wer die Stichwahl um das Amt des polnischen Staatsoberhauptes am 1. Juni für sich entscheiden wird, hängt folglich vor allem davon ab, wer das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler gewinnen kann, die ihre Stimme der ersten Runde einem anderen Kandidaten, einer anderen Kandidatin gegeben haben. Oder die gar nicht erst zur Wahl gegangen sind. Denn auch bei der Wahlbeteiligung wäre noch deutlich Luft nach oben.
Bereits Sonntagabend, kurz nach Veröffentlichung der ersten Zahlen, hatte Nawrocki seine Hand in Richtung des rechtslibertären Kandidaten Mentzen ausgestreckt und ihn aufgefordert gemeinsam Polen zu "retten".
Zudem hat Nawrocki für den kommenden Sonntag, den 25. Mai, seine Unterstützer zu einem Marsch aufgerufen - am selben Tag, wie bereits zuvor sein Konkurrent Trzaskowski.
Dies könnte zu einem ersten Stimmungstest werden, bevor die Polinnen und Polen eine Woche später an den Urnen entscheiden, wer der nächste Präsident werden soll.