
Israels Kampf im Gazastreifen Wie Reservisten unter dem Krieg ächzen
In Israel könnten 70.000 Ultraorthodoxe zum Militärdienst eingezogen werden. Doch das passiert nur selten. Stattdessen werden immer wieder die gleichen Reservisten in den Kampf geschickt. Dagegen gibt es Protest.
Sie sind laut - und an einer großen Kreuzung im Osten von Tel Aviv stehen sie auch im Weg. In Tel HaShomer ist eines der Einberufungszentren für Soldatinnen und Soldaten der israelischen Armee. Davor gibt es Schlangen: Gerade zieht Israel nicht nur regulär die neuen Soldaten zum Wehrdienst ein - mit dem neuen massiven Vorrücken im Gazastreifen haben auch wieder Zehntausende Reservisten ihren Einberufungsbescheid bekommen.
Ayelet steht da mit ihrem Protestschild, der Organisation, die sich "Mütter an der Front" nennt. Sie fordert, dass der Krieg im Gazastreifen sofort endet, denn er sei "politisch geworden": "Wir sind 70.000 Mütter von Kampfsoldaten, und wir wollen nicht mehr mitmachen. Wir sind hier, um zu warnen: Wenn sich das nicht ändern wird, werden wir Straßen blockieren und verweigern. Wir haben genug!"
Umfragen zufolge sind rund 70 Prozent der israelischen Bevölkerung dafür, dass der Krieg in Gaza endet. Viele denken dabei jedoch weniger an die katastrophale humanitäre Lage im Gazastreifen, an die vielen Toten und Hungernden dort, an die flächendeckende Zerstörung und die Entvölkerung ganzer Gebiete.
Viele Reservisten werden immer wieder eingezogen
Die meisten sorgen sich vor allem um die immer noch verschleppten Geiseln, die sie durch eine Fortsetzung des Krieges in Gefahr sehen. Und die Mütter, die auf die Straße gehen, denken vor allem an die Familien. Das Problem sei, dass viele Reservisten immer wieder eingezogen würden, sagt Miri Bar On:
Selbst mein Sohn hat mittlerweile einen Punkt erreicht, an dem er sagt: 'Genug'. Er hat ein Baby und ein kleines Mädchen zu Hause. Er wird nicht mehr hingehen. Und er ist nicht der Einzige. Auch meine Tochter, die Sanitäterin in einer Kampfeinheit ist, wird nicht mehr gehen. Wir alle, wir Mütter, die hier stehen, haben Kinder, die in Kampfeinheiten dienen - wenn wir verzweifeln und unsere Kinder verzweifeln - wer wird dann noch zur Armee gehen?
Die "Mütter an der Front" wehren sich auch dagegen, dass ein Teil der Israelis die Belastungen nicht mitträgt, das sind in ihren Augen die ultraorthodoxen Familien. Die Zahl ultraorthodoxer Männer steigt, die sich lieber dem Studium der Thora widmen, als in der Armee zu dienen.
Die rechts-religiöse Regierung unter Benjamin Netanjahu verfügt über eine Mehrheit von 68 von 120 Sitzen. Sie würde nur dann ihre Mehrheit verlieren, wenn auch die zweite strengreligiöse Partei, Schas, das Bündnis verlässt. Die Partei Vereinigtes Tora-Judentum hat acht Mandate, die Schas hat elf Mandate.
Ultraorthodoxe Männer waren jahrzehntelang von der Wehrpflicht befreit. Die Regelung lief jedoch aus. Auf ein neues Gesetz konnte sich die Regierung nicht einigen, deshalb entschied der Oberste Gerichtshof. Viele ultraorthodoxe Juden empfinden die Wehrpflicht als Bedrohung ihres frommen Lebensstils - unter anderem, weil Frauen und Männer gemeinsam dienen.
Trotz Gerichtsurteil: Nur wenige Ultraorthodoxe in der Armee
Amtlichen Zahlen zufolge könnten derzeit rund 70.000 ultraorthodoxe Männer zwischen 18 und 24 Jahren eingezogen werden, seit der Oberste Gerichtshof entsprechend entschieden hat. Tatsächlich haben seit letztem Jahr aber nur 1.721 den Wehrdienst angetreten.
Die Mütter sprechen von den wirtschaftlichen Folgen für Familien, von psychischen Problemen, Familien, die auseinanderbrechen - infolge langer Zeiten als Reservesoldaten.
Israels Armee fehlen viele Männer und Frauen
Nach offiziellen Angaben fehlen der israelischen Armee zur Zeit 12.000 Soldaten, davon mehr als die Hälfte in Kampfeinheiten. Und weil das so ist, werden immer wieder die gleichen Reservisten eingezogen. Auch deshalb ist Ayelet gegen den Krieg:
"Wir wollen, dass diese politische Führung geht und dass man damit beginnt, nach dem Gesetz zu handeln", sagt sie. "Heute vor einem Jahr gab es das historische Gerichtsurteil, das entschied, alle Ultraorthodoxen zum Wehrdienst zu verpflichten. Seither hat sich nichts geändert. Nichts, es reicht."
Die rechtsextreme Regierung unter Benjamin Netanjahu zeigt sich von der Kritik und den Umfragen unbeeindruckt - wie auch an der internationalen Kritik an der Kriegsführung im Gazastreifen. Die "Mütter an der Front" wollen deshalb weiter auf die Straße gehen.