
Baden-Württemberg Ausbildung für junge Menschen in Gefahr - Ärzte in BW verweigern Untersuchung
Wer unter 18 Jahre alt ist und eine Lehre beginnen möchte, braucht die Jugendarbeitsschutzuntersuchung. Kinderärzte wollen sie wegen schlechter Bezahlung nicht mehr anbieten.
Klimmzüge, Bankdrücken, Hanteln stemmen: Louis Kempter trainiert seit Jahren. Er möchte beim Zoll arbeiten, dafür muss man fit sein, braucht mindestens das silberne Sportabzeichen. Das hat der 16-Jährige bestanden - und auch alle Aufnahmetests des Zolls. Der Zoll möchte ihn gerne ausbilden, doch er hat noch keinen gültigen Vertrag.
Kein Vertrag für Azubi ohne Jugendarbeitsschutzuntersuchung
Der Grund: Ihm fehlt die sogenannte Jugendarbeitsschutzuntersuchung, die alle unter 18-Jährigen brauchen, damit ihr Ausbildungsvertrag gültig ist. Die Untersuchung ist eine Art Check Up. Sie soll gewährleisten, dass die Jugendlichen nicht mit Arbeiten beschäftigt werden, denen sie gesundheitlich oder entwicklungsmäßig nicht gewachsen sind. Durchführen würde sie Louis' Kinderarzt - doch der weigert sich. Die Untersuchung werde zu schlecht bezahlt, so seine Begründung.
Dass es jetzt daran scheitern könnte, ist hart für Louis: "Ich will unbedingt zum Zoll, einfach weil ich mich da sehr gut sehen kann und es wäre herzzerbrechend, wenn ich da nicht hingehen könnte." Seine Eltern versuchen, einen anderen Arzt für die Untersuchung zu finden - bislang ohne Erfolg. Gerade hat sein Vater Dieter Kempter es erneut versucht. "Wieder mal eine Absage. Die sagen sie machen es nicht, wir müssen schauen, wie wir zurechtkommen."
Das ist für uns einfach dermaßen ein Minusgeschäft, dass wir das jetzt mal eingestellt haben. Kinderarzt Ralf Brügel
Die Kinderärzte im Rems-Murr-Kreis haben sich abgesprochen, sie bieten die Untersuchung alle nicht an. Gemeinsam mit seinem Vater geht Louis nochmal persönlich zu seinem Kinderarzt in Schorndorf um nachzufragen, ob es nicht doch eine Lösung gibt: Sein Vater wäre bereit, die Untersuchung privat zu bezahlen.
Kinderarzt Ralf Brügel ist dagegen: "Ich finde es sozial ungerecht, weil die, die es sich leisten können, ohne Probleme die Untersuchung bekommen und die anderen nicht."
Für die Behandlung gibt es aktuell 23 Euro
Er behandelt Louis seit seiner Geburt. Ihm fällt es schwer, dass er und seine Kollegen jetzt der Ausbildung der Jugendlichen im Weg stehen. "Da blutet uns auch ein bisschen das Herz, aber andererseits haben wir beschlossen: Wir können nicht nur, weil wir Jahr für Jahr sagen, lass uns gutmütig sein, das Spiel ewig so weitertreiben. Das ist für uns einfach dermaßen ein Minusgeschäft, dass wir das jetzt mal eingestellt haben."
45 Minuten würde die Untersuchung dauern, inklusive Hör-, Seh- und Urintest sowie einem Fragebogen. Kinderarzt Brügel und die beteiligte medizinische Fachangestellte bekämen rund 23 Euro dafür. Kostendeckend wären etwa 90 bis 100 Euro, so die Landesärztekammer.

Louis Kempter hat sich lange körperlich auf die Ausbildung beim Zoll vorbereitet, doch jetzt steht die Lehre auf der Kippe, weil Ärzte ihm einen nötigen Check Up verweigern.
Honorar seit Jahrzehnten unverändert
Seit 1996 hat sich die Bezahlung nicht verändert. Die Landesärztekammer fordert seit Jahren eine Erhöhung. Ohne die will Kinderarzt Brügel nicht mehr: "Wir sind auch nicht dazu verpflichtet, diese Untersuchung durchzuführen. Also dass die Untersuchung gemacht wird, schreibt der Staat vor. Wer sie macht, schreibt er nicht vor."
Auch im Hohenlohekreis und anderen Regionen im Land weigern sich immer mehr Ärzte. Und das Problem weite sich aus, so Andrea Bosch, Leiterin der Abteilung Berufliche Bildung und Fachkräfte der IHK BW. Auch bei der Handwerkskammer melden sich immer mehr Betriebe, deren Auszubildenden die Untersuchung fehlt. Das auch nicht nur punktuell und regional, sondern über ganz BW und auch über die Landesgrenze hinaus.
Immer mehr Arbeitgeber sind beunruhigt
"Verstärkt wird das Problem aber in Richtung Ausbildungsstart zunehmen, da die Verträge von den Handwerkskammern nicht eingetragen werden können, aber Richtung Ausbildungsstart ist das zwingend erforderlich", so die Auskunft des Dachverbands Handwerk BW.
Auch die Firma Ziesel Hausverwaltung hat eigentlich einen Vertrag mit einem neuen Azubi abgeschlossen. Doch noch ist er ungültig, auch ihrem Azubi fehlt die Jugendschutzuntersuchung. Er ist unter 18. Unternehmensleiterin Gloria Ziesel-Kacani findet das ärgerlich. Der junge Mann hat bei ihnen ein Praktikum gemacht, es gab einen langen Auswahlprozess. "Da hat man einfach schon einen sehr großen Aufwand gehabt. Und dann bekommen er und wir am Ende so eine Hürde in den Weg gestellt." Für ihren Betrieb würde das bedeuten, dass sie alle, die noch keine 18 sind, nicht einstellen können. Doch das sei keine Option, so Gloria Ziesel-Kacani. "Wir sind auch vom Fachkräftemangel betroffen und freuen uns über jede Bewerbung, die wir bekommen."
Mögliche Lösungen laut Kinderarzt: Arbeitgeber soll zahlen
Zurück in der Praxis. Louis und seinem Vater ist klar: Der Arzt wird die Untersuchung nicht durchführen. Seine Gründe seien nachvollziehbar, so Dieter Kempter: "Das ist schon verständlich, aber was mache ich jetzt mit ihm, wenn er den Lehrvertrag nicht kriegt?"
Die Ideen von Kinderarzt Ralf Brügel dazu: "Entweder ändert sich die Vergütung rasch oder die Arbeitgeber sagen, wir bezahlen diese Untersuchung - oder man könnte die Untersuchung auf den öffentlichen Gesundheitsdienst auslagern."
Untersuchung für Jugendliche unter 18: Bundesregierung arbeitet an Lösung
In Berlin führt der öffentliche Gesundheitsdienst schon etwa die Hälfte aller Jugendarbeitsschutzuntersuchungen durch. Zuständig für die Bezahlung der Ärzte in Baden-Württemberg ist das Land. Das sagt, es könne an der Bezahlung nichts ändern, das könne nur auf Bundesebene entschieden werden. Laut einer Sprecherin des Bundesgesundheitsministerium ist der Bundesregierung das Problem bekannt: "An einer Lösung wird derzeit gearbeitet."
Kinderarzt Ralf Brügel hofft auf eine Änderung noch vor Ausbildungsbeginn im September. Louis selbst sucht weiter, ob er doch noch irgendwo anders zeitnah die Untersuchung bekommt. Denn er will unbedingt bald beim Zoll arbeiten.