Eltern mit zwei Kindern auf den Spielplatz: Benedict und Laura teilen sich ihre Elternschaft gleichberechtigt. Benedict sieht es für sich als Vater als Chance, dass es keinen Mutterinstinkt gibt.

Baden-Württemberg Es gibt keinen Mutterinstinkt: Drei Beispiele aus Karlsruhe zum Muttertag

Stand: 10.05.2025 06:49 Uhr

Die Mama kann alles und weiß instinktiv, was am besten für das Kind ist. Falsch, sagt die Forschung, so einen Mutterinstinkt gebe es nicht. Diese Familien sagen: Tschüss, altes Klischee.

Von Cornelia Stenull

Wenn zum Muttertag die Mama im Mittelpunkt steht, kommt manchen gerne dieses Bild in den Sinn: Von der Super-Mutter, die in Sachen Kinder vermeintlich alles kann und weiß - und zwar ganz instinktiv, ohne nachzudenken. Als sei Muttersein und Mutterliebe allen Frauen angeboren, zudem sämtliche Fähigkeiten rund um das Thema Kind. So einen Mutterinstinkt gibt es aber nicht, belegt unter anderem die Hirnforschung. Eine Erkenntnis, die für viele Mütter, Väter und Familien eine Chance eröffnet.

Wir haben mit Menschen in Karlsruhe gesprochen, die dem Thema Mutterinstinkt kritisch gegenüberstehen. Hier ihre Gedanken und Lebensentwürfe:

Klara lebt mit Patchwork-Familie: "Gibt es den Mutterinstinkt, hab ich keinen"

Klara lebt mit ihrem 14 Monate alten Sohn Jeno und ihrem Mann in Karlsruhe. Die 37-Jährige ist gerade dabei, sich nach der Elternzeit beruflich neu zu orientieren. Neben Jeno hat ihr Mann vier weitere Kinder, die bei den Müttern leben - alle im Raum Karlsruhe. Zusammen seien sie eine "Patchwork-Erweiterungs-Familie", erklärt Klara. Von einem vermeintlichen Mutterinstinkt hält Klara nichts.

Ich habe für mich immer gesagt: Wenn es den Mutterinstinkt gibt, dann hab ich keinen. Klara, Mutter von Jeno

Für sie sei die Schwangerschaft, die Geburt und das Stillen absolut nicht instinktiv gewesen - im Gegenteil. Sie habe es als eine "harte Schule, als einen Lernprozess" empfunden und war froh um professionelle Hilfe. Und dann kam ein "Gamechanger":

Als ich darüber gelesen habe, dass es den Mutterinstinkt gar nicht gibt, ist mir eine große Last von den Schultern gefallen. Klara, Mutter von Jeno

Betreuung abgeben können: In Klaras Familie helfen alle mit

Sie habe sich nicht mehr ständig hinterfragen müssen, warum sie etwas nicht kann oder weiß, erzählt sie. Auch habe sie für sich verstanden. "Ich bin nicht die Einzige, die weiß, was gut für mein Kind ist." Jetzt könne sie Jeno auch leichter abgeben und wisse, dass er gut aufgehoben sei.

Thema "Mutterinstinkt": Klara lebt mit Sohn Jeno in einer Patchwork-Familie.

Klara lebt mit Sohn Jeno und ihrem Mann in einer Patchwork-Familie. Pro Woche gibt es zwei "Jeno-Date-Tage" für die älteren Töchter ihres Mannes.

Klara und ihr Mann haben sich bewusst für ein Familienkonzept entschieden, bei dem sich alle aktiv einbringen sollen und können. Heißt eben auch, dass die Betreuung für Jeno auf mehrere Personen verteilt ist.

Die beiden großen Töchter meines Mannes haben je einen "Jeno-Date-Tag" pro Woche. Das wird von allen total gut aufgenommen und ist eine große Entlastung für mich. Klara

Benedict teilt sich Elternschaft gleichberechtigt mit seiner Frau Laura

Vom Mythos Mutterinstinkt wegzukommen, könne auch für alle Väter eine Bestärkung und Chance sein, meint Benedikt. Der 35-Jährige und seine Frau Laura haben sich bewusst dafür entschieden, ihre Elternschaft für ihre Kinder Yaron und Taya gleichberechtigt zu teilen.

Schon beim ersten Kind, ihrem 4-jährigen Sohn Yaron, ist Benedict für ein halbes Jahr in Elternzeit gegangen. Er sei hauptverantwortlich für Yaron gewesen - mit allem, was dazugehört, erzählt er.

Außer Stillen kannst du eigentlich alles machen, damit es dem Kind gut geht. Das ist so mein Leitgedanke geworden. Benedict, Vater von zwei Kindern
Vater sitz mit kleiner Tochter auf einer Treppe am Spielplatz: Benedict sieht es für sich als Vater als Chance, dass es keinen Mutterinstinkt gibt. Er teilt sich die Elternschaft mit seiner Frau gleichberechtigt.

Benedict sieht es für sich als Vater als Chance, dass es keinen Mutterinstinkt gibt. Er teilt sich die Elternschaft mit seiner Frau gleichberechtigt.

Benedict: Väter können sich genauso gut um Kinder kümmern wie Mütter

Diese gleichberechtigte Aufteilung habe auch deswegen gut geklappt, weil sie in einer ähnlichen Branche arbeiteten, sagt er. Benedict ist als Theaterpädagoge am Badischen Staatstheater in Karlsruhe, Laura arbeitet als freischaffende Künstlerin und Choreografin. Dass sich im Denken und in der Gesellschaft in Bezug auf Elternrollen etwas tut, sieht er positiv.

Für mich ist ein großer Vorteil, dass ich mich im Stande fühle, mich genauso um die Kinder zu kümmern, wie jeder andere Mensch auch - wie jede Mutter auch. Benedict, 35 Jahre

Maxi: Ohne eigenes Kind hat sie mehr Energie für andere Kinder

Ich finde es schön, statt vom Mutterinstinkt vom Fürsorgeinstinkt zu sprechen. "Denn ich denke, dass auch ich einen Fürsorgeinstinkt habe", sagt Maxi. Sie habe sich zusammen mit ihrem Partner entschieden, keine eigenen Kinder zu haben. Dennoch habe sie Kinder um sich, wie ihre Patenkinder oder die Kinder von Freunden.

Ich bin der Meinung, dass ich diesen Kindern viele wertvolle Impulse mitgeben kann. Und vielleicht kann ich das sogar besser, wenn ich die Kinder nicht 24/7 um mich herum habe. Maxi, 31 Jahre
Thema "Mutterinstinkt" - warum es eine Chance ist, dass es ihn nicht gibt

Statt vom vermeintlichen Mutterinstinkt besser vom Fürsorgeinstinkt sprechen.

Den Begriff Mutterinstinkt sieht die 31-Jährige kritisch. "Instinkt würde bedeuten, dass man von Natur aus alles weiß und alles richtig macht. Was, so glaube ich, unmöglich ist", meint sie. In Bezug auf Mutterrollen sieht sie ihre Situation als Frau ohne Kinderwunsch auch durchaus positiv.

Indem ich offen mit meiner Situation umgehe, kann ich vielleicht auch etwas Offenheit in der Gesellschaft bewirken. Maxi

Carolin Seiler, Familientherapeutin: Ordnet Studie der Hirnforschung ein

Verschiedene Forschungen haben in den vergangenen Jahren aufgeräumt mit der Vorstellung, dass ausschließlich die Mutter in Bezug auf ihr eigenes Kind alles am besten kann, allein weil sie die Mutter und eine Frau ist. So zeigt beispielsweise eine Studie aus der neueren Hirnforschung, dass es diesen vermeintlichen Mutterinstinkt nicht gibt.

Carolin Seiler, systemische Familientherapeutin aus Karlsruhe, erklärt die Zusammenhänge und die Folgen, die dieses Ergebnis mit sich bringt:

Es wurde belegt, dass sowohl bei den gebärenden Müttern als auch bei den anderen Personen, wie Vätern oder Adoptiveltern, die eine enge Bindung aufbauen, sich Hirnstrukturen gleichermaßen oder ähnlich entwickeln können. Carolin Seiler, systemische Familientherapeutin
Thema "Mutterinstinkt" - warum es eine Chance ist, dass es ihn nicht gibt

Statt vom vermeintlichen Mutterinstinkt besser vom Fürsorgeinstinkt sprechen.

Es gibt keinen Mutterinstink - eine Erleichterung für alle Mütter

Diese Wissenschaftler gingen also davon aus, dass sowohl Mütter als auch andere enge Bezugspersonen ähnliche neuronale Veränderungen durchliefen, solange sie sich intensiv mit dem Kind auseinandersetzten, erklärt die Familientherapeutin. Das Ergebnis könne eine große Erleichterung für alle Mütter sein, weil es diese Verantwortung, die nur der Mutter zugeschrieben werde, nicht gebe, ordnet Carolin Seiler ein, die auch Schwangerschaftsberatung bei der Caritas in Ettlingen macht.

Auch ergebe sich daraus die Chance, dass Elternschaft viel gleichberechtigter gestaltet werden könne - dann auch für gleichgeschlechtliche Paare, Adoptiv- oder Pflegefamilien. "Überall, wo eine enge Bindung aufgebaut wird - es ist möglich", sagt Seiler. Und für die Familie als solche entstehe dadurch auch wieder die Möglichkeit, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben - egal, ob bei der Arbeit oder an kulturellen Angeboten.

Wir haben alle was davon, wenn wir als Mütter ehrlich darüber sprechen, welche Herausforderungen diese Lebensveränderung für uns sind. Wir zeigen dadurch auch, welche Aufgabe Fürsorge in der Gesellschaft hat. Carolin Seiler, Coach und Familientherapeutin

Dafür sei es absolut notwendig, dass sich politische und gesellschaftliche Strukturen veränderten, kritisiert Carolin Seiler. Dass beispielsweise die Arbeitswelt Gleichberechtigung zulasse, damit Väter wie Mütter gleichmaßen wieder ins Berufsleben einsteigen könnten und nicht eine Seite finanziell benachteiligt sei.

Autorinnen des Buchs "Mythos Mutterinstinkt": Eher Fürsorgeinstinkt

Zum Thema Mutterinstinkt ist vor zwei Jahren ein Buch erschienen: "Mythos Mutterinstinkt: Wie moderne Hirnforschung uns von alten Rollenbildern befreit und Elternschaft neu denken lässt". Die Autorinnen des Buches plädieren dafür, lieber vom Fürsorgeinstinkt statt vom Mutterinstinkt zu sprechen. Da die Fürsorge laut Wissenschaft eben nicht an ein Geschlecht gekoppelt sei, sondern von der engen Bindung und Fürsorge eines Menschen für das Kind abhängig sei, so die Autorinnen Annika Rösler und Evelyn Höllrigl Tschaikner. Zudem sei das Muttersein nicht als instinktives Verhalten, sondern als Prozess des Lernens zu sehen.

Im SWR-Interview vom Mai 2024 erklärte Annika Rösler, dass nach wissenschaftlichen Erkenntnissen die Mutterschaft und Elternschaft eine Entwicklung über Jahre hinweg sei.

Sendung am Sa., 10.5.2025 19:30 Uhr, SWR Aktuell Baden-Württemberg, SWR BW

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