Ein Bauzug während des Baus der Bahnstrecke Pfullendorf - Altshausen zwischen 1873 und 1875.

Baden-Württemberg Kurioser Eisenbahnbau: Als Pfullendorf in den Fortschritt gedampft ist

Stand: 03.05.2025 06:00 Uhr

Heute absurd anmutende Hindernisse haben der Bahnstrecke Pfullendorf-Altshausen im Weg gestanden. Sie sollte 1875 der abgelegenen Provinz Fortschritt und eine boomende Wirtschaft bringen.

Als die Eisenbahn vor 150 Jahren, am 14. August 1875, zwischen Pfullendorf (Landkreis Sigmaringen) und Altshausen (Landkreis Ravensburg) zum ersten Mal gerollt ist, wurden die Glocken geläutet und Fahnen gehisst. Es herrschte Aufbruchsstimmung, erläutert Andreas Steffan. Er betreibt in Pfullendorf ein Privat-Archiv, in dem sich auch vieles über die Bahnstrecke befindet. Die Träume der Pfullendorfer führten mit den Schienen in ganz neue Dimensionen, sagt er. Denn die Bahnstrecke würde die badischen und württembergischen Eisenbahnnetze verbinden. Gerade noch war Pfullendorf einfach ein kleiner Ort, jetzt könnte es plötzlich ein Halt auf der damals geplanten Strecke Paris-Wien werden.

Vor Beginn der Arbeiten 1873 ist die aufstrebende Reichsstadt Pfullendorf eine ruhige Ortschaft mit zwischen 1.800 und 2.000 Einwohnern. Statt Fahrplan bestimmen damals die Markttage die Anbindung an die Außenwelt. Dann werden zum Beispiel Vieh und Holz gehandelt. Besonders das Holz, das nicht auf eigenen Beinen zum nächsten Ort gebracht werden kann, ist aber eine logistische Herausforderung. Im Untergeschoss des Pfullendorfer Museums "Altes Haus", in dem ab sofort eine Ausstellung zum 150. Jubiläum der Strecke zu sehen ist, zeugen die Holzschlitten zum Transport der Stämme noch von den Herausforderungen.

Eine historische Ansicht der Stadt Pfullendorf mit Dampflok im Vordergrund.

Der Bahnhof Pfullendorf war Ziel von Dampfloks aus Baden und aus Württemberg. Diese durften aber jeweils nicht weiterfahren.

Fortschritt und alte Grenzen auf der Strecke

Die Landesherren wollen endlich im 19. Jahrhundert ankommen. Die Eisenbahn breitet sich wie ein Spinnennetz über das Land aus und verheißt Fortschritt und ein neues Zeitalter. Die Welt wird kleiner. Oder größer, aus Sicht der kleinen Orte, für die plötzlich vorher weit entfernte Städte erreichbar werden. Dumm nur, dass das Land noch in historisch verwurzelten Grenzen regiert wird. Pfullendorf liegt an der Landesgrenze zwischen Baden und Württemberg. Bis zu einem geeinten Bundesland ist es noch weit, stattdessen stehen sich die Landesherren als erbitterte Konkurrenten gegenüber.

Man hat sich die Butter auf dem Brot nicht gegönnt. Andreas Steffan, Archivar und Eisenbahnexperte

Aber die Eisenbahn, von der träumen sie beide. Fortschritt bekommen sie nur gemeinsam. Trotzdem bleibt das Misstrauen. Jedes einzelne Dokument muss von beiden Seiten genehmigt werden. Streitigkeiten bremsen die Planungen, von den fünf Jahren bis zur Eröffnung der Strecke vergehen zwei mit grenzüberschreitenden Streitigkeiten.

Die drei Jahre dauernden Bauarbeiten sind aufwendig. Schienen können nicht einfach gelegt werden. Denn die Gegend östlich von Pfullendorf ist eine Jungmoräne, also das Überbleibsel eines Gletschers. Der Grund ist sandig und viele Hügel liegen im Weg. Für Tunnel sind diese zu instabil, stattdessen müssen Einschnitte gegraben werden. Sogar auf den Abschnitten dazwischen schütten Arbeiter meterweise Grund auf, um die Gleise zu sichern.

Die ersten Gastarbeiter machen die Strecke bei Pfullendorf möglich

Dafür braucht es Arbeitskräfte, mehr als in der Region verfügbar sind. Allein ein Aushub durch einen Hügel hindurch beschäftigt beispielsweise 400 Arbeiter ganze vier Monate lang, berichtet der Pfullendorfer Archivar. Die Lösung ist eine frühe Anwerbung von Gastarbeitern aus Italien. Diese genießen einen Ruf als gute und erfahrene Arbeitskräfte. Außerdem sorgt die Ansiedlung von zahlreichen bezahlten Arbeitskräften für einen erheblichen Aufschwung, bevor die Bahn überhaupt fährt: Gaststätten öffnen und der Bier-Absatz steigt zur Freude der Gastwirte.

Andere Bahnstrecken in der Region
Im Jahr 1838 begannen die Bauarbeiten an der Badischen Hauptbahn zwischen Mannheim und Konstanz. Ab 1863 war diese Strecke auf ganzer Länge in Betrieb. Wenig später begann auch in Württemberg das Bahnzeitalter. Ab 1844 wurde die Zentralbahn gebaut, die von Heilbronn nach Friedrichshafen führte. Diese Strecke wurde schon 1850 befahren. Die Verbindung entlang des Sees auch für den Verkehr in die Schweiz wurde aber erst deutlich später fertig. Bis dahin wurden die Eisenbahnwaggons auf Schiffe gerollt und über den See gefahren. Diese sogenannten Trajekte verkehrten beispielsweise zwischen Friedrichshafen und Romanshorn.

Am 14. August 1875 wird die Bahnstrecke zwischen Pfullendorf und Altshausen schließlich eingeweiht. Die Erwartungen sind riesig, die verschlafenen Orte sollen Industrie bekommen. Die Zeiten der abgeschnittenen Kleinwirtschaft sind endgültig vorbei. Tatsächlich führt die Bahn zu einem raschen Aufschwung. Der Viehhandel blüht und Holz kann nun in großen Dimensionen vertrieben werden. Torf wird aus den Mooren über die Eisenbahn zum Verkauf transportiert und auch von dieser verbrannt.

Der Bahnhof von Pfullendorf auf einem Schwarzweißfoto.

Die Instandhaltung des Bahnhofes in Pfullendorf gestaltet sich aufgrund der Landesgrenze zwischen Baden und Württemberg schwierig. Beide Seiten verlangen von der anderen mehr Beteiligung an den Kosten.

Fracht und Passagiere teilen sich die Bahnlinie

Der Personen und der Frachtverkehr teilen sich nicht nur die Stecke sondern meist auch die Züge. Die gemischten Züge werden immer wieder aufgehalten, wenn die Waggons umrangiert werden müssen. Viel größer sind die Probleme mit der Landesgrenze. Diese sind mit der Fertigstellung der Schienen keineswegs gelöst. Die Züge dürfen die Grenze zwischen Baden und Württemberg nämlich nicht überqueren. Im Bahnhof Pfullendorf liegen sechs Gleise nebeneinander. Die Passagiere müssen jedesmal von einem badischen in einen württembergischen Zug umsteigen. Württembergisches Zugpersonal darf in Pfullendorf nicht übernachten und auch keine Kohle bunkern. Aus einer Verbindung Paris-Wien wird nichts. So kann man nicht einmal vom Bodensee in bayrische Großstädte fahren, ohne umzusteigen.

Über die Reaktivierung von Bahnlinien, unter anderem der Räuberbahn zwischen Ravensburg und Altshausen, berichtete auch schon die SWR-Sendung "Eisenbahn-Romantik":

Heute wird die Strecke von der Räuberbahn verwendet

Trotzdem ist die Strecke im ausgehenden 19. Jahrhundert in der Region wichtig und beliebt bei den angrenzenden Gemeinden. Viele sehen große Vorteile in der Verbindung. Ein Landtagsabgeordneter nutzt damals einen eigens für ihn eingerichteten Express für die Rückreise von den Gremiensitzungen in Stuttgart. Auch die Bundeswehr verwendet die Linie intensiv zur Verlegung von schwerem Gerät wie Panzern. Als in der Frühzeit der Strecke einmal nur noch drei statt vier Züge fahren sollen, protestieren die Bürgermeister der Orte an der Strecke. Der Takt war damit vergleichbar zu dem, den die sogenannte Räuberbahn heute an Wochenenden und Feiertagen wieder möglich macht. So richtig startete die Strecke aber nie durch, es blieb bei einem Auf und Ab bei den Passagierzahlen. 2002 wurde die Strecke zunächst stillgelegt, zu diesem Zeitpunkt waren nur noch Güter transportiert worden. Schon 1964 mussten Passagiere auf den Bus umsteigen.

Das Museum "Altes Haus" in der Museumsgasse 1 in Pfullendorf zeigt bis Ende 2026 die Ausstellung "150 Jahre Bahnstrecke Pfullendorf – Altshausen und die wirtschaftliche Bedeutung für die Region". Die Ausstellung ist jeweils sonntags von 14 bis 17 Uhr geöffnet.

Sendung am Sa., 3.5.2025 6:30 Uhr, SWR4 BW Studio Friedrichshafen

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