Berlin Der Messias ist eine Frau in Sportklamotten
Egal, wo sie hinkommt: Billie Eilish lässt die Leute ausflippen. Bei ihrem Konzert in Berlin gab es Tränen, Gekreische und einen Popstar, der manchmal ganz schön einsam aussah. Von Hendrik Schröder
Mit einem Donnerschlag aus den Boxen geht um kurz nach 20 Uhr das Saallicht aus. Billie Eilish beginnt, in einem Videowürfel sitzend, das Konzert - und die Menge rastet aus, als wäre da jemand nicht von dieser Welt erschienen. Der Messias ist eine Frau! Und sie trägt Basketball-Dress und Turnschuhe.
Das ist der erste Gedanke, so außer sich sind die 17.000 in der natürlich ausverkauften Uber Arena. "I love you" brüllen hunderte Kehlen. "Ist das geil, ist das geil, ist das geil" schreit eine Freundin einer anderen springend ins Gesicht. Manche kämpfen mit den Tränen, schlagen sich völlig überwältigt von Emotionen die Hände vors Gesicht.
Eine Bühne mitten im Zuschauerraum
Billie Eilish klettert derweil aus dem Videowürfel und sprintet die Bühne ab. Kreuz und quer. Ruhelos. Wie eine Athletin. Als gäbe es Kilometergeld. Als wolle sie jede Seite der Bühne einmal ganz genau in Augenschein genommen haben. Denn die Bühne steht nicht wie üblich einfach an einer Seite der Halle. Nein, sie thront wie ein dicker, rechteckiger Klotz mitten im Zuschauerraum. An der Seite gibt es zudem noch eine kleinere Bühne, auf der Eilish später im Set ein paar Songs performen wird.
Wie gemeinsam mit der Heiländin vom Himmel gefallen sieht diese Bühne aus: riesig. Geschätzt 40 mal 15 Meter groß, mindestens. Die Stehplatz-Zuschauer quetschen sich drumherum. Durch die ungewöhnliche Konstruktion können fast alle ihr mal zumindest ein bisschen nahe sein. Singt sie gerade mit dem Rücken zu einem, schaut man eben auf den hausgroßen Videowürfel über der Bühne.

Live-Band wirkt meilenweit weg
Eine Band ist auch mit auf Tour - zum ersten Mal. Die Musiker sitzen in zwei Gräben, quasi in der Bühne, eine halbe Ebene unterhalb der Sängerin. Das ist eine ganz seltsame Idee, denn Level 1 wird so fast ausschließlich von Eilish alleine bespielt beziehungsweise belaufen. Meilenweit weg wirkt sie von ihrer Band. Auch, wenn sie mal in die Gräben springt mit einer Handkamera und die Musiker in den Mittelpunkt rückt. Und auch, wenn zwei von ihnen und die beiden Chorsängerinnen irgendwann im Kreis um Eilish stehen oder mal auf Barhockern ihr gegenüber sitzen: Der Abstand bleibt. Allein wirkt sie, losgelöst von den anderen.
Der Sound ist gerade am Anfang und gerade bei den lauteren Dance-Stücken erstaunlich unterirdisch. Die Stimme wabert irgendwo undefinierbar durch die Halle. Die Musik blechert und rumpelt sehr laut, aber auch wenig differenziert.

Fragil und groß zugleich
Bei den Balladen allerdings, wenn Eilish am E-Piano sitzt oder einfach auf dem Bühnenboden, um ihre Stimme zu loopen und die Halle um absolute Ruhe bittet, dann wird es auch musikalisch stark. Dann klingt sie fragil und groß zugleich, berührend und tief. Die Fans singen dabei jede Silbe aller Stücke mit (bis auf das Coldplay-Cover, das kannten eventuell nicht alle). 16-Jährige, 18-Jährige, 25-Jährige sind in der Halle. Darunter sehr, sehr viele junge Frauen, die mit ihren schiefen Baseballkappen, Bandanas oder Krawatten zum aufgeknöpften Hemd an die bekannten Looks von Billie Eilish erinnern.
Für sie alle ist Eilish Vorbild, Popstar, Role Model und so etwas wie eine große Schwester zugleich. 23 Jahre ist sie erst alt. Und schon seit Jahren hat sie in den Herzen dieser Leute einen riesigen Platz. Schon Stunden und Tage vorher standen die Fans vor der Halle an. Dutzende suchten am Eingang noch Tickets, boten Mondpreise, wenn jemand eines verkaufen wollte.

"I love you, Berlin"
Aus dem Kinderzimmer heraus, in dem sie mit ihrem Bruder ihre ersten Songs schrieb und aufnahm (und der bis heute ihr wichtigster Songwriter, Mentor und Produzent ist), wurde Eilish ein Star. Nicht zuletzt wegen ihrer Haltung, nicht den gängigen Körpernormen entsprechen zu wollen und deswegen phasenweise nur unförmige Sachen zu tragen. Heute engagiert sie sich für Klimaschutz und veganes Essen.
Ihre Ansagen an diesem Abend sind aber leider alle völlig belangloses "I love you Berlin"- und "Great to be back"-Rhabarber. Erstaunlich für eine, die allgemein als deep, reflektiert und gedankenvoll gilt. Nach 100 Minuten gibt es Konfetti, Abschiedstränen bei den Fans und Billie Eilish verschwindet so donnernd, wie sie gekommen ist. Ihre Jüngerinnen und Jünger müssen sich jetzt erstmal erholen. Das war wild.
Sendung: rbb24 Inforadio, 10.05.2025, 8:55 Uhr