Seit Jahren kämpft eine Nachbarschafts-Initiative in Berlin-Friedenau gegen Leerstand und Verfall eines Jugendstilhauses. Sie setzt auf Transparente, Politik – und zivilen Ungehorsam. (Quelle: rbb)

Berlin Kampf um ein Geisterhaus: Wie eine Rentnerinnen-Gruppe gegen den Leerstand kämpft – und am Bezirk scheitert

Stand: 10.05.2025 11:53 Uhr

Seit Jahren kämpft eine NachbarschaftsInitiative in Berlin-Friedenau gegen Leerstand und Verfall eines Jugendstilhauses. Sie setzt auf Transparente, Politik – und zivilen Ungehorsam. Denn das Zögern der Verwaltung ist frustrierend. Von Wolf Siebert

Es ist der 1. Mai, der Arbeiterkampftag. Während andere feiern, schreiten die Aktivist:innen der Nachbarschaftsinitiative Friedenau zur Tat. Mit festem Schuhwerk, Vierkantschlüssel, Zange und Personalausweis ausgerüstet, betreten sie das seit Jahren leerstehende Mietshaus an der Kreuzung Odenwald Ecke Stubenrauchstraße. Legal ist das nicht, aber hier ist keine linke Truppe junger Aktivisten am Werk, sondern eine bürgerliche Rentner:innen-Gruppe.
 
Durch den Keller geht es ins Treppenhaus, das schon lange kein Geländer mehr hat und dann auf die Balkone der 16 Wohnungen: Schon nach wenigen Minuten sind die ersten Transparente angebracht mit Slogans wie “Eigentum verpflichtet, hier wird es vernichtet”. Oder: “Instandbesetzen wird bestraft, kaputt besitzen wird geduldet.”
 
Die 81-jährige Mary, einst Psychoanalytikerin, hat die Slogans entworfen, darunter auch: “Abriss droht”. "Viele Leute sagen, das ist das schönste Haus von Friedenau. Wir möchten es unbedingt retten – damit hier ein sinnvolles Projekt entsteht", begründet sie die Aktion.

Seit Jahren kämpft eine Nachbarschafts-Initiative in Berlin-Friedenau gegen Leerstand und Verfall eines Jugendstilhauses. Sie setzt auf Transparente, Politik – und zivilen Ungehorsam. (Quelle: rbb)

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Leerstand seit 2007 - mehr als 200.000 Euro Bußgelder

Seit 2007 steht das Jugendstilhaus leer. Die Eigentümerin, eine ältere Dame, lässt es verfallen. Auch wenn ihr dadurch Mieteinnahmen entgehen. Das Dach ist undicht, und viele Fenster sind eingeschlagen. Dabei ist ein Leerstand ohne Genehmigung seit 2014 illegal.
 
Die Nachbarschaftsinitiative kämpft seit neun Jahren für eine Sanierung und eine soziale Nutzung des Hauses: mit Anfragen in der Bezirksverordnetenversammlung, Gesprächen mit Politiker:innen, Postkartenaktionen und Kundgebungen. Dass sie sich mit dieser Aktion strafbar machen, nehmen sie in Kauf: "Wir wurden von einer Gruppe junger feministischer Jurastudent:innen informiert, was alles auf uns zukommen könnte, wenn wir uns hier straffällig machen. Wir fühlen uns auch gar nicht schuldig. Wir fühlen uns konstruktiv."
 
Ingrid Schipper, eine 77-jährige pensionierte Lehrerin, ist das Sprachrohr der Initiative. Sie hat Sorge, dass ihr Engagement in den Mühlen von Verwaltung, Bezirkspolitik und Gerichten zerrieben wird. "Der Senat sagt, wir stehen dahinter, wir machen es noch. Aber der Bezirk arbeitet nicht mit, kann auch nicht gezwungen werden” - obwohl die Initiative ständig Druck ausübe. Dabei war das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg in all den Jahren nicht untätig. Schon 2015 wurde die Eigentümerin aufgefordert, das Haus wieder bewohnbar zu machen. Mehr als 200.000 Euro Zwangs- und Bußgelder wurden verhängt. Gegen die Maßnahmen des Bezirksamts zog die Eigentümerin vor Gericht. Jahrelang ging deshalb nichts voran.
 
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es der Verwaltung sehr viel Arbeit macht, ein “Geisterhaus” wieder als Wohnhaus nutzbar zu machen. Das räumt man im Bezirksamt hinter geschlossenen Türen in Hintergrundgesprächen ein. Und hat deswegen andere Prioritäten gesetzt.

Ein Leerstand in der Stubenrauchstraße Ecke Odenwaldstraße am 08.04.2020. (Quelle: dpa/Bildagentur-online)
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Hoffnung durch das Pilotprojekt "Treuhänder"

Ende 2022 schien sich endlich etwas zu bewegen. Christan Gäbler, damals noch Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, initiierte das Pilotprojekt “Treuhänder”. Drei leerstehende Häuser - darunter das in Friedenau - sollten im Auftrag der Bezirke von einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft treuhänderisch saniert werden. Der Senat versprach, alle Kosten zu erstatten, auch von möglichen Rechtsstreitigkeiten.
 
Christian Gäbler betrat damals juristisches Neuland, doch sein Ziel war klar: “Es soll schon das Zeichen ausgehen, dass der Staat sich nicht von Eigentümern an der Nase herumführen lässt. Mit den Pilotprojekten wolle man Sicherheit gewinnen, auch für mögliche spätere juristische Auseinandersetzungen”, so Gäbler damals.

Seit Jahren kämpft eine Nachbarschafts-Initiative in Berlin-Friedenau gegen Leerstand und Verfall eines Jugendstilhauses. Sie setzt auf Transparente, Politik – und zivilen Ungehorsam. (Quelle: rbb)

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Ein Vorzeigeprojekt – das keines wurde

Die Nachbarschaftsinitiative Friedenau hatte recherchiert, dass mindestens 80 Häuser in Berlin vollständig leer stehen. Der Zensus 2022 zählte zudem 40.500 Wohnungen, die dauerhaft unbewohnt waren. Doch bis heute ist in keinem der drei Bezirke ein Treuhänder eingesetzt worden. Die Verwaltungen äußern rechtliche Bedenken, sehen noch offene Fragen. Im Fall Friedenau denkt der Bezirk inzwischen darüber nach, das Haus in Eigenregie sanieren zu lassen – was die Eigentümerin jedoch weiterhin blockieren könnte.
 
Möglich wäre dann eine Zwangsversteigerung. Doch genau davor fürchtet sich die Initiative: Ein neuer Eigentümer könnte das Haus abreißen und teure Eigentumswohnungen bauen.
 
Im März dieses Jahres hatte sich die Nachbarschaftsinitiative zur 109. Teamsitzung getroffen – neun Frauen, drei Männer, ein langer Tisch. Tee, Nüsse, Süßigkeiten – und viel Frust. „Der Bezirk hält uns hin“, sagt Mary. „Er hofft auf eine natürliche Lösung – sprich: eine Zwangsversteigerung, fürchte ich." Die Angst vor dem Abriss ist groß. Und die Hoffnung auf den Treuhänder schwindet.
 
Auch Stadtentwicklungssenator Christian Gäbler ist empört. Zweieinhalb Jahre ist das Pilotprojekt nun alt, und noch immer ist nichts geschehen. Der Sozialdemokrat wirft den Bezirken Blockadehaltung vor. ”Eine Verwaltung muss Gesetze umsetzen und kann sich nicht aussuchen, ob sie es machen will oder nicht." Immer neue Vorwände zu finden, sei kein gutes Verwaltungshandeln. “Da verstehe ich jeden Bürger, der sagt: Was soll denn diese Absurdität?”
 
Gäbler will sich jetzt noch einmal mit Vertretern der drei Bezirke treffen. Sollte das Treuhänder-Modell weiterhin blockiert werden, will er das Pilotprojekt beenden. Am verwitterten Geisterhaus in Friedenau hängt ein Baustellenschild, aber gebaut wird nicht. „Wir dachten immer, wir sind sozusagen die Vorfront – Leuchtturm, Blaupause oder Pilotprojekt. Und all das hat uns glauben gemacht, dass man da ein Vorzeigeobjekt draus machen kann, um anderen Leerstand zu beeinflussen“, sagt Ingrid Schipper. Trotz aller Enttäuschungen glaubt sie, dass sich zivilgesellschaftliches Engagement lohnen kann. “Wir wollen dieses Haus retten und natürlich auch den Leerstand in anderen Problem-Immobilien beseitigen.“
 
Politik und Verwaltung haben die Instrumente, gegen den Leerstand vorzugehen. Sie müssten sie nur konsequent anwenden. Manchmal muss man dafür auch ein Risiko eingehen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 06.05.2025, 9:45 Uhr