
Hamburg Experten sehen keine Hinweise für Heroinwelle bei Jugendlichen
Der Hamburger Jugendsucht-Experte Rainer Thomasius vom UKE warnt vor einer neuen Heroinwelle bei Jugendlichen. Polizei und andere Suchtforscher halten das für unbelegt und widersprechen entschieden.
Hamburgs bekanntester Jugendsuchtmediziner, Rainer Thomasius, warnt vor einem deutlichen Anstieg des Heroinkonsums bei Jugendlichen. Auslöser dafür sei laut seiner Einschätzung die Teillegalisierung von Cannabis. Im Hamburger Abendblatt sagte er, der Schwarzmarkt für Cannabis sei weitgehend eingebrochen. Nun würden Dealer stattdessen vermehrt Heroin anbieten und es jungen Menschen sogar kostenlos überlassen, um sie süchtig zu machen. In seiner Klinik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) müsse man nun häufiger junge Heroinabhängige behandeln, so Thomasius.
Dramatischer Vergleich mit Christiane F.
Besonders eindringlich warnte Thomasius im Abendblatt: "Seit sechs Monaten gibt es ein Revival des Heroinkonsums in Hamburg, das ich in 30 Jahren bei den Jugendlichen nicht mehr erlebt habe." Er erinnerte dabei wörtlich an die Geschichte "Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo", die Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre durch Buch und Verfilmung das Schicksal jugendlicher Drogenkonsumentinnen und -konsumenten in Berlin aufzeigte.
Belege oder Daten, die seine Einschätzung stützen, nannte Thomasius allerdings nicht. Auf NDR-Anfrage teilte eine Sprecherin des UKE mit, dass dort ebenfalls keine belastbaren Statistiken zu einem Anstieg des Heroinkonsums bei Jugendlichen vorlägen.
Wissenschaftler zweifelt an drastischem Anstieg
Kritik an Thomasius Darstellung kommt auch von anderen Fachleuten. Der Suchtforscher und Drogenforscher Theo Baumgärtner, Leiter der SCHULBUS-Studie zum Drogenkonsum bei Schülerinnen und Schülern in Hamburg, widerspricht den Aussagen deutlich. Aus Sicht seines Forschungsteams gebe es derzeit keine Hinweise auf ein "Revival" des Heroinkonsums. Ganz im Gegenteil: In den repräsentativen Befragungen der 14- bis 17-Jährigen, der vergangenen zwölf Monate sei bei Jugendlichen insgesamt ein Rückgang des Drogenkonsums zu beobachten - sowohl bei Alkohol als auch bei illegalen Drogen wie Ecstasy, LSD oder Cannabis.
Baumgärtner sieht außerdem keine Hinweise darauf, dass der Cannabis-Schwarzmarkt durch die neue Gesetzeslage tatsächlich verschwunden sei. Seine Daten legten nahe, dass legale und illegale Drogen derzeit insgesamt seltener konsumiert werden.
Polizei sieht Problem eher bei Kokain
Auch aus Sicht der Hamburger Polizei gibt es keine Anzeichen für einen massiven Anstieg des Heroinkonsums unter Jugendlichen. Jan Reinecke vom Bund Deutscher Kriminalbeamter spricht vielmehr von einem "Riesenkonsumproblem" bei Cannabis und Kokain - nicht aber bei Heroin. Den vielzitierten Rückgang des illegalen Cannabis-Marktes könne man in der polizeilichen Praxis nicht nachvollziehen. Die Szene sei nach wie vor aktiv, die Angebote vielfältig.
Heroin spiele in Hamburg dagegen nur eine untergeordnete Rolle - sowohl im Straßenhandel als auch in der Kriminalstatistik. Hinweise auf eine gezielte Strategie von Dealerinnen und Dealern, Jugendliche mit Heroin süchtig zu machen, gebe es laut Reinecke nicht.
Fachliche Auseinandersetzung statt Alarmismus
Der Fall zeigt nach unseren Recherchen, wie sensibel das Thema Drogenkonsum bei Jugendlichen weiterhin ist - besonders im Umfeld neuer gesetzlicher Regelungen wie der Teillegalisierung von Cannabis. Während Thomasius als erfahrener Mediziner mit seiner öffentlichen Warnung auf ein mögliches Risiko aufmerksam machen will, fordern andere Expertinnen und Experten mehr Datengrundlagen und eine differenzierte Betrachtung.
Die Aussagen des UKE-Arztes haben durch seine Bekanntheit ein großes mediales Echo ausgelöst. Umso wichtiger dürfte es sein, dass seine Thesen durch valide Zahlen belegt werden - vor allem, wenn es um eine potenziell verunsichernde Behauptung wie den Heroinkonsum bei Jugendlichen geht. Forschende und Polizeikräfte mahnen daher zur Sachlichkeit - und zur klaren Trennung zwischen Einzelfällen und gesellschaftlichen Trends.
Dieses Thema im Programm:
NDR 90,3 | NDR 90,3 Aktuell | 23.05.2025 | 08:00 Uhr