
Hamburg "So wie Franziskus": Was sich Gläubige im Norden vom neuen Papst wünschen
Im Kleinen Michel in Hamburg hat Papst Franziskus mit der "Fratello"-Initiative ein besonderes Vermächtnis hinterlassen. Von seinem Nachfolger wünschen sich Katholiken hier, dass auch er ein Herz für Arme hat und den Weg des Dialogs weitergeht. Das neue Oberhaupt der katholischen Kirche wird ab heute in Rom gewählt.
In der Küche am Kleinen Michel duftet es verlockend. Corazon Entapa brät in einem großen Wok Hähnenstücke an, würzt mit Currypaste und Chili, lässt sich Karottenscheiben, Kartoffelstücke und Kokosmilch anreichen. Nach welchem Rezept wird heute gekocht? "Alles von YouTube", ruft die 72-Jährige lachend und spornt ihre Mitstreiter an, zügig weiterzuarbeiten. In zwei Stunden müssen 140 Portionen Curry fertig sein.
Corazon Entapa kocht in der katholischen Pfarrkirche in der Hamburger Neustadt mit Freiwilligen aus ihrer philippinischen Community für obdachlose und arme Menschen, im Wechsel mit einer Gruppe, in der sich auch viele Gläubige aus Westafrika engagieren. Sie alle gehören zur Initiative "Fratello Hamburg", die die katholische Kirche Sankt Ansgar und Sankt Bernhard im Jahr 2016 zusammen mit der Caritas ins Leben gerufen hat. Der Anstoß dazu kam von Papst Franziskus, der damals Arme und Obdachlose aus ganz Europa in den Vatikan eingeladen hatte. Auch eine Gruppe aus Hamburg. Und die trifft sich seither einmal im Monat im Kleinen Michel zu einer Andacht und einem gemeinsamen Essen. "Fratello" (italienisch: Bruder) steht für eine Gemeinschaft von Menschen, die Bedürftigen helfen.

Corazon Entapa sind konservative Werte in der katholischen Kirche wichtig.
Corazon Entapa: Konservative Werte bewahren
Nach dem Tod von Franziskus sind in Rom die Kardinäle zusammengekommen, um seinen Nachfolger zu wählen. Was erwarten die Gläubigen bei "Fratello Hamburg" von ihm? "Ich hoffe, dass der neue Papst so ist wie Franziskus, mit viel Herz für die armen Leute", sagt Corazon Entapa. Sie wünscht sich außerdem, dass alle Meinungen gehört werden, aber auch, dass die katholische Kirche ihre konservativen Werte bewahrt.
Michael und Karl Meyer: Einfach Mensch sein
Michael sieht das ganz anders. Der 60-Jährige ist mit Glockengebimmel an seinem Fahrrad zur Andacht gekommen, er trägt ein blaues Kopftuch mit "Fratello"-Aufschrift, offenes Hawaii-Hemd, bunte Beinstulpen und um den Hals in einer transparenten Plastikhülle ein Foto von Franziskus. "Der neue Papst sollte gar nicht anders sein als der alte", sagt er, "menschlich, offen und bürgernah, nicht arrogant und abgehoben."
Michael gehörte zu jenen 100 Hamburgern, die 2016 zu Franziskus nach Rom reisten. Pater Karl Meyer vom Dominikanerorden war auch dabei. Er ist inzwischen 88 Jahre alt, kommt aber immer noch mit dem Fahrrad zu den Gottesdiensten im Kleinen Michel. Auch er sähe es gern, wenn der neue Papst viel vom alten hätte: "Er sollte ganz einfach Mensch sein und bewirken, dass alle in Frieden miteinander leben." Meyer möchte, dass die katholische Kirche offen ist für alle: "Jeder ist anders, jeder ein Original und jeder soll Platz haben in der Kirche - das wünsche ich mir wirklich."

Pater Karl Meyer (l.) und Michael waren von Anfang an bei "Fratello Hamburg" dabei.
Genau diese Vielfalt wird in der Gemeinde im Kleinen Michel gelebt. Etwa 40 Menschen sind bereits vor der "Fratello"-Speisung in die Kirche gekommen. Neben dem Altar steht ein großes Porträtfoto von Franziskus mit Trauerflor, davor Blumen und Kerzen. Pastor Philipp Görtz hält die Andacht. Er selbst war vor neun Jahren nicht mit in Rom, aber er ist beeindruckt, wie sehr Papst Franziskus seine Gemeindemitglieder inspiriert hat. "Sie haben gemerkt: Das ist einer von uns."
Johannes Wiedeking: Mehr Frauen einbinden
Johannes Wiedeking liest den Psalm im Gottesdienst. Den 63-Jährigen im braun-weiß-gestreiften Trikot des FC St. Pauli verbindet eine besondere Geschichte mit dem verstorbenen Papst. Nicht nur, dass er mit zweitem Vornamen Franziskus heißt. Der frühere Papst war quasi der Wegbereiter für seinen Start in ein neues Leben.

Johannes Franziskus Wiedeking: Der verstorbene Papst hat sein Leben auf besondere Weise geprägt.
Auch Wiedeking war 2016 mit "Fratello"-Pilgern in Rom und lernte dort seine heutige Frau kennen. Der frühere Chemieingenieur lebte eine Zeit lang auf der Straße, schaffte dann aber den Weg zurück in eine eigene Wohnung und eine geregelte Arbeit. Für Alimaus, eine Einrichtung für wohnungslose Menschen auf dem Kiez, sammelt er jeden Tag Lebensmittelspenden ein. Von einem neuen Papst erwartet er, dass er "eine ähnliche Bescheidenheit wie Franziskus" an den Tag legt. Und: "Mein großer Wunsch ist, dass die katholische Kirche weiblicher wird, dass Frauen mehr eingebunden werden, nicht nur als Ehrenamtliche und Laien."
Gudrun Lipka-Basar: Vermitteln, nicht polarisieren
Gudrun Lipka-Basar hat Wiedekings Psalm verfolgt und mit den anderen gesungen und gebetet. Sie gehört nicht zur Gemeinde im Kleinen Michel, kommt aber trotzdem hierher, weil sie sich der Gemeinschaft zugehörig fühlt. Für sie war Franziskus "der beste Papst der letzten 100 Jahre". Sie wünscht sich, dass sein Nachfolger "den gleichen Weg geht, dass er vermittelnd ist und nicht polarisiert".

Für die Hamburgerin Gudrun Lipka-Basar war Franziskus "der beste Papst der letzten 100 Jahre":
Als junge Frau war Gudrun Lipka-Basar aus der katholischen Kirche ausgetreten - aus Protest gegen die ablehnende Haltung der Kirche zu Verhütungsmitteln und das Schweigen im Vietnamkrieg, wie sie sagt. Vor 13 Jahren kehrte sie zurück. Nun hofft sie, dass der neue Papst nicht umdreht auf dem Weg zu Modernisierung und Dialog.
Die katholische Kirche ist das größte multikulturelle Projekt der Menschheitsgeschichte. Da müssen einfach alle mit einbezogen werden."
— Gudrun Lipka-Basar, Katholikin aus Hamburg
Zwischen Kleinem Michel und Weltkirche: Versöhnen, Brücken bauen, Türen öffnen
Pastor Görtz möchte ebenfalls, dass die katholische Kirche an dem unter Franziskus eingeschlagenen Kurs festhält: "nach vorne, zur Welt hin". Auch wenn er mit seiner Gemeinde wahrscheinlich nicht für die Mehrheit in der katholischen Kirche spricht: Dialog und Auseinandersetzung sollten gefördert werden, sagt er, über Frauen als Bischöfe oder Diakone, über das Zölibat, über die Prävention von sexuellem Missbrauch. "Ich wünsche mir, dass Schritte, die eingeleitet wurden, entschieden weitergegangen werden und nicht wieder in den Schubladen verschwinden."
Die katholische Kirche als Institution hält Görtz nach wie vor für essenziell. Menschen müssten die Möglichkeit haben, zusammenzukommen und ihren Glauben zu feiern: "Das tun wir hier am Kleinen Michel jeden Sonntag mit einem sehr diversen Publikum, auch sehr bunten Strömungen, bei denen man vielleicht manchmal ein bisschen den Atem anhält", sagt er und lächelt. Seine Mission ist und bleibt für ihn, die Gemeinschaft zwischen allen Gläubigen herzustellen: "Menschen zu versöhnen, Brücken zu bauen, Türen zu öffnen - das ist die Aufgabe eines Pastors vor Ort und eines Papstes in der Weltkirche."

Pastor Philipp Görtz freut sich über das diverse Publikum im Kleinen Michel in Hamburg
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NDR Info | NDR Info | 07.05.2025 | 06:45 Uhr