
Hessen Neue Abrechnungsweise: Freiberufliche Hebammen fürchten um ihre Zukunft
Krankenkassen rechnen ab November die Leistungen von Hebammen anders ab. Vor allem freiberufliche Beleghebammen verdienen dann wohl weniger. Lohnt sich der Job dann überhaupt noch?
Janine Willner steht unter Strom. Die Hebamme ist seit sechs Uhr bei der Arbeit, zusammen mit ihrer Kollegin hat sie bereits fünf Geburten begleitet. "Das war schon ein ordentliches Programm", sagt die 44-Jährige, die als Beleghebamme am Alice-Hospital in Darmstadt arbeitet. "Gerade kann ich mich zum ersten Mal hinsetzen und einen Kaffee trinken", erzählt sie. Die Uhr zeigt kurz nach 14 Uhr.
Der Stress macht ihr nichts aus, sagt Willner. Sie liebt ihren Job, er macht ihr Spaß. Doch sie hat Angst, damit könnte es bald vorbei sein. Der Grund für ihre Befürchtung ist der sogenannte Hebammenhilfevertrag, der ab dem 1. November 2025 in Kraft treten soll. "Für uns freie Beleghebammen ist das eine Katastrophe", sagt Willner.
Neue Gebührenordung beschlossen
Eine Schiedsstelle des Krankenkassen-Spitzenverbands (GKV) und zwei Hebammen-Berufsverbänden haben kürzlich über eine neue Hebammenvergütung entschieden. Mit den Änderungen wolle man "die Arbeitsbedingungen der Hebammen verbessern, die Vergütung erhöhen und die Versorgung der werdenden Mütter und der Neugeborenen verbessern", sagt Florian Lanz, Sprecher des GKV-Spitzenverbands.
Im Zentrum der neuen Gebührenordnung steht die 1:1-Betreuung. Das Hebammenhilfegesetz verspricht: Eine Hebamme verdient mehr Geld, wenn sie sich nicht um mehrere Frauen gleichzeitig sondern ausschließlich um eine einzige werdende Mutter kümmert. Kümmert sie sich um mehrere Frauen gleichzeitig, bekommt sie weniger Geld pro Geburt.
Für die gesetzlichen Krankenkassen bedeutet die Einigung laut GKV-Sprecher rund 100 Millionen Euro mehr an Honorar, das an die Hebammen ausgezahlt wird. Im neuen Hebammenhilfevertrag habe man bürokratische Aufwände gestrichen, so Lanz. Außerdem würden die Leistungen künftig schneller abgerechnet.
- An dieser Stelle befindet sich externer Inhalt, der hier nicht dargestellt werden kann. Hier gelangen Sie zum Original-Beitrag auf hessenschau.de.
Willner: "Geburten sind nicht planbar"
"Das hört sich vielleicht auf dem Papier gut an", kommentiert Hebamme Willner, "mit der Realität einer Beleghebamme im Kreißsaal hat das aber nichts zu tun." Denn die Voraussetzungen für eine 1:1-Geburt sind laut Hebammenhilfegesetz erst dann erfüllt, wenn sich die Hebamme mindestens zwei Stunden vor und nach der Geburt um eine einzelne Mutter kümmert.
"Geburten sind nicht planbar", sagt Willner. Manche dauern deutlich kürzer als die vorgegebenen zwei Stunden, andere wiederum länger. Während ihrer Einsätze im Hospital kümmere sie sich meist um mehr als nur eine Frau. "Bei einer messe ich den Blutdruck, dann schaue ich bei der anderen nach den Herztönen des Kindes. Dann sind da noch die ganzen Anfragen auf meinem Telefon von den Frauen, die ich als freie Hebamme auch außerhalb des Krankenhauses betreue."
All das dürfte sie nach der neuen Gebührenordnung nicht mehr tun, die Anfragen auf dem Telefon nicht beantworten, oder sie würde deutlich weniger verdienen, sagt sie. "Ich habe das mal ausgerechnet: Heute hätte ich bislang statt etwa 320 Euro nur rund 140 verdient."
Eine Kollegin habe ausgerechnet, sie müsste am Tag künftig vier Stunden mehr arbeiten, um nicht weniger zu verdienen. "Um weiterhin unser Geld zu verdienen, müssten wir eigentlich künftig Geburten künstlich in die Länge ziehen und andere Frauen links liegen lassen", sagt Willner mit einem nicht zu überhörendem sarkastischen Unterton.
- An dieser Stelle befindet sich externer Inhalt, der hier nicht dargestellt werden kann. Hier gelangen Sie zum Original-Beitrag auf hessenschau.de.
Hebammenverband erwägt Klage
Auch der Deutsche Hebammenverband, der die Entscheidung nicht mitgetragen hat, kritisiert das neue Gesetz scharf. Er bezeichnet den Schiedsspruch als "absolut fatales Ergebnis". Beleghebammen würden "zum wiederholten Male schlechtergestellt". Vor allem die angestrebte Besserstellung durch die 1:1-Betreuung sei für die Kolleginnen von vielen Faktoren abhängig.
So erhalte sie diese nur für volle zwei Stunden vor und nach der Geburt. Dazu sei die Arbeitsdichte im Kreißsaal "weder kalkulier- noch steuerbar", heißt es in einer Veröffentlichung zum Hebammenhilfevertrag. Der Verband erwägt derzeit, juristisch gegen das Hebammenhilfegesetz vorzugehen.
Was Willner und ihren Kolleginnen an der neuen Regelung ebenfalls bitter aufstößt: Geburten werden nur noch pauschal bezahlt, Zusatzleistungen wie eben Blutdruck messen, die Untersuchung des Kindes direkt nach der Entbindung oder andere Einzelleistungen rund um die Geburt können nicht mehr einzeln abgerechnet werden. "Streng genommen dürfte ich das alles nicht mehr machen, wenn ich nicht umsonst arbeiten will", klagt Willner.
Dabei hatte sie eigentlich gehofft, das neue Gesetz würde dafür sorgen, dass Beleghebammen endlich besser bezahlt würden. "Dafür, dass wir bei einer Geburt Verantwortung für zwei Leben tragen, verdienen wir jetzt schon zu wenig", erklärt Willner. Hinzu komme die hohe finanzielle Belastung durch die Berufshaftpflichtversicherung. Ginge es nach ihr, hätten die Vergütung für alle Einzelleistung angehoben werden müssen.
"Viele werden sich einen anderen Job suchen"
Ihre große Befürchtung: "Durch die neue Gebührenordnung wird der Beruf der Beleghebamme immer unattraktiver. Viele Kolleginnen werden sich dann einen anderen Job suchen, auch den Nachwuchs schreckt das ab."
Schon jetzt gebe es zu wenig Hebammen, die Situation werde sich nach dem 1. November noch einmal verschärfen. "Damit ist dann weder den Müttern, noch den Hebammen und schon gar nicht den Kindern geholfen."
Auch GKV-Sprecher Lanz sagt: "Es wäre fatal, wenn der Anstieg der Vergütung zu einem Rückgang von Hebammen führt." Beim Krankenkassen-Spitzenverband geht man allerdings nicht davon aus, auch weil die Anzahl der Hebammen derzeit steige.
Durch den beschlossenen Hebammenhilfevertrag gebe es künftig mehr Geld für die Hebammen, so dass nur eine "sehr besondere Konstellation" dazu führen könne, dass Hebammen ihren Beruf aufgeben", so Lanz.
"Folgt man dieser Argumentation, dann sind wohl wir Beleghebammen allesamt eine besondere Konstellation", entgegnet Willner. Rund 160.000 Kinder würden jährlich von Beleghebammen bundesweit auf die Welt begleitet. "Die werden ganz schön dumm aus der Wäsche schauen, wenn es uns einmal nicht mehr gibt."