Jakob Schwichtenberg ist Historiker und steht nebem einem Gemälde, auf dem ein Sowjetsoldat zu sehen ist, dazu Worte in kyrillischen Buchstaben.

Mecklenburg-Vorpommern Das vergessene Sowjetmuseum von Schwerin

Stand: 09.05.2025 14:51 Uhr

Wohl nur in Schwerin ist das Garnisonsmuseum der sowjetischen Streitkräfte noch vollständig erhalten. Bei der Übergabe 1993 hatte sich die Landeshauptstadt dazu verpflichtet, die Exponate zu zeigen. Dazu ist es bis heute nicht gekommen.

Von Martin Möller

Irgendwo in der Schwerin Altstadt. Der Ort muss geheim bleiben. Die Luft riecht verbraucht, wird noch stickiger, weil der Staub auf den alten Neonröhren nach dem Einschalten langsam verbrennt. "In den letzten sieben Jahren hat überhaupt nur einer nach dem sowjetischen Garnisonsmuseum gefragt," sagt Hausherr Jakob Schwichtenberg. "Das war ein Mann aus Südamerika. Aber dem ging es um die Lenin-Statue, die bis 1993 noch auf dem Hof der alten Artilleriekaserne in der Johannes-Stelling-Straße am Rande des Schweriner Schlossparks stand", erzählt der Historiker und lächelt dabei. Der Lenin ist verschollen aber alles andere ist wohl noch da. Der Weg führt durch einen großen Raum mit dutzenden alten Möbelstücken. Am Ende zwei Türen: Hier lagert ein großer Teil des ehemaligen Garnisonsmuseums.

Von Messingpanzer bis Kampftaucher

Ein kleiner golden schimmernder Panzer steht auf einem Tisch.

Dieser golden schimmernde Panzer gehört auch zur Sammlung, die in Schwerin erhalten geblieben ist.

Als erstes fällt ein großes Wandbild ins Auge, welches den Weg des Regiments im zweiten Weltkrieg illustriert - von der Ostukraine über Kursk, Brest bis nach Berlin. Auf dem Boden ein Messingpanzer, große Munitionshülsen, die früher zusammen mit rotem Samtband als Absperrung dienten. Außerdem Stahlschränke mit diversen Ölportraits von Kriegshelden. Alles wurde gut verpackt und mit Nummern versehen. Trotzdem ist es eine wilde Sammlung aus Soldatenkunst, Gebrauchsgegenständen, Propagandamaterial, Auszeichnungen und Militärausrüstung. Sogar Gasmasken, Uniformen und der Tiefenmesser eines sowjetischen Kampftauchers gehören zum Fundus. Das alles war bis 1993 in einem Flachbau auf dem Hof der Artilleriekaserne ausgestellt. Eine wilde Sammlung, die vom 16. Jahrhundert bis in die letzten Jahre der Sowjetunion reichte. Der größte Teil war dem Kampf im sogenannten Großen Vaterländischen Krieg gewidmet, also dem Kampf gegen Nazideutschland.

Sammlung ist einmalig in Deutschland

Solche Traditionskabinette oder Garnisonsmuseen gab es an all den Orten in der DDR, in denen die Sowjetarmee größere Standorte unterhielt. Der Historiker Jakob Schwichtenberg vermutet, dass nur das in Schwerin vollständig erhalten ist. Er selbst gehört aber nicht mehr zu den Zeitzeugen, weil er 1989 geboren wurde. Anders sein Vorgänger. Norbert Credé stammt aus Westdeutschland und war 1993 Hüter der stadtgeschichtlichen Sammlung in Schwerin. Kurz vor dem Abzug der Truppen durfte er mit einer Delegation in die Kasernen in der Stelling-Straße. "Damals ist die Idee entstanden das Museum für die Nachwelt zu bewahren," berichtet Credé. Aber kein Handel ohne Gegenleistung: Der zuständige Polit- und Kulturoffizier Kirjakow hatte ganz andere Sorgen. Er brauchte Hilfe bei der Renovierung der neuen Kaserne in Russland, die in einem sehr schlechten Zustand war. Nobert Credé: "Dann haben wir ihm einen Güterwaggon voll Tapeten, Farben, Pinsel, Kleister besorgt. Das war sozusagen die Gegenleistung für das Museum."

Schwerin als Garnisonsstadt

Historisches Foto: Ein fünfzackiger Stern mit der Länderkennung der Sowjetunion prangte während der Stationierung Sowjetischer Truppen über einer Kasernenmauer in Schwerin.

Historisches Foto: Während der Stationierung Sowjetischer Truppen in Schwerin gab es auf dem Gelände auch ein Garnisonsmuseum. Der Siegesorden prangt am Eingang.

Aber es musste noch der Oberkommandierende der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland zustimmen. Generaloberst Burlakow residierte in Wünsdorf bei Berlin. Er mochte nicht per Fax unterschreiben, sondern bestand auf ein persönliches Erscheinen. Daran wäre es fast noch gescheitert, erinnert sich Credé. Über den künstlerischen Wert der Exponate mögen die beiden nicht urteilen. Für die Stadtgeschichte sind sie allemal wichtig, so ihre Meinung. Bis zu 15.000 Sowjetbürgerinnen und Sowjetbürger lebten zwischen 1945 und 1993 gleichzeitig in der Stadt. In der Mehrzahl waren es Wehrdienstleistende aber auch Offiziere mit ihren Familien, es gab eigenes Schul-, Klinik- und Bäckereipersonal.

Eine fremde Erinnerungskultur

Sie kamen aus allen Teilen der Sowjetunion nach Schwerin - von Estland im Norden bis Georgien im Süden, von der Ukraine bis nach Kamtschatka im Fernen Osten. Diese Vielfalt spiegelt sich auch in der Kunst und den Kunsttechniken des Museums wider, so Jakob Schwichtenberg. Aber gerade die heroischen Kriegsbilder erscheinen ihm fremd. Der Krieg als Abendteuer und Männlichkeitsprobe, ohne Leid und Tod? "Ich war ja selbst bei der Bundeswehr. Dort hatten wir eine ganz andere Gedenkkultur", erinnert sich der promovierte Historiker.

Hoffnung ruht auf neuem Stadtmuseum

Auch deshalb würde er sich wünschen, dass die vielen Exponate genauer erforscht und erklärt werden von Fachleuten, die sich mit Osteuropa bzw. mit Militärgeschichte auskennen. Denn unkommentiert mag er sie nicht ausstellen, auch weil sich das Verhältnis zu Russland nach dem Überfall auf die Ukraine verändert hat. Aber noch fehlt der Stadt ein Ausstellungsort. Das geplante Stadtmuseum soll das ändern. In dem könnte die Geschichte der 48 Jahre dauernden Besatzung durch sowjetische Truppen erstmals einen angemessenen Platz finden. Erst dann hätte die deutsche Seite ihren Teil erfüllt. Denn bei der Übergabe des Museums hatten sich die Schweriner dazu verpflichtet, die Exponate des Museums dauerhaft öffentlich zu präsentieren. Doch bis dahin werden wohl noch ein paar Jahre ins Land gehen. 

Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Radio MV | Nordmagazin | 08.05.2025 | 19:30 Uhr