
Mecklenburg-Vorpommern Schlagerfestival der Ostseeländer: Der ESC der DDR
Der ESC zieht wie jedes Jahr wieder einen ganzen Kontinent in seinen Bann. Fast vergessen ist die Geschichte der kleinen DDR-Schwester: Das Rostocker "Schlagerfestival der Ostseeländer". Ein Rückblick.
Intervision statt Eurovision und Schlagerfestival statt "Grand Prix de la Chanson". 1964 überträgt der Deutsche Fernsehfunk das "Internationalen Schlagerfestival der Ostseeländer".
Unser Direktübertragung sind angeschlossen: Das sowjetische Fernsehen - Guten Abend Moskau, das polnische Fernsehen - Guten Abend Warschau, und das ungarische Fernsehen - Guten Abend Budapest."
— Originalton aus der Fernsehübertragung des DDR-Fernsehens
Den Rostocker Gesangswettbewerb gibt es ab 1962. Er ist der "Grand Prix des Ostens". Mit dabei sind auch Sängerinnen und Sänger aus Skandinavien. Der Schlagerausscheid ist Teil der Rostocker "Ostseewoche". Die soll das Image des Arbeiter- und Bauernstaates heben, erst recht nach dem Mauerbau. Für ein paar Tage im Sommer gibt sich die DDR weltoffen - sogar für Beatmusik. Die Sängerin Regina Thoss erinnert sich: "Das war natürlich ein wunderbares Flair. Auch für das Publikum. Das ging ja damals alles noch. Es war überhaupt kein Problem mit der Einreise aus Norwegen, Dänemark, Schweden, die waren ja alle da."
Mokkaservice für Sieg beim "Schlagerfestival der Ostseeländer"
1966, bei der 5. Ausgabe des Festivals, tritt Regina Thoss für die DDR an. "Wir haben ja ein bisschen in der kleinen DDR im eigenen Saft geschmort. So eine Teilnahme an so einem Internationalen Festival war natürlich immer etwas ganz Besonderes." Thoss steht damals am Anfang ihrer Karriere. "Da hatte ich ein Lied drauf: 'Ein wunderschöner Tag'. Drei Tage vor Beginn des Festivals kommt Helmut Kaltofen zu mir und sagt: 'Regina, wir haben so ein tolles Lied gekriegt, das musst du in drei Tagen singen!'. In drei Tagen!"
"Die erste Nacht am Meer" ist mehr Chanson als Schlager. Die Proben werden ein echter Kraftakt. Die gebürtige Zwickauerin glaubt nicht an einen Sieg: "Da habe ich gedacht: Ach nee, da kannste wieder dein Köfferchen packen, fährste wieder daheeme zum Muddel nach Zwicke." Es geht nach "Zwicke", aber als Siegerin mit einem Mokkaservice aus Meißner-Porzellan im Gepäck - der Hauptpreis. "Die anderen danach, die haben alle nur einen Wanderpokal gekriegt. Und ich habe ein Mokkaservice - das habe ich heute noch", erinnert sie sich und lacht.
Gastgeber für Länder wie Kanada, Schweden, Kuba und England
1975 kommt das Aus für die "Ostseewoche" und für das "Schlagerfestival der Ostseeländer". Doch Totgesagte leben länger: Fröhliche Wiederauferstehung als "Menschen und Meer". 1985 kommen Sängerinnen und Sänger aus 19 Ländern, so auch aus Kanada, Schweden, Rumänien, Finnland und Kuba. Auch die britische Tom Topping Band findet den Weg nach Rostock hinter den Eisernen Vorhang - Hafenrundfahrt inklusive, erinnert sich der Gitarrist Brian Jones: "Wir waren alle auf dem Oberdeck und sangen miteinander Seemannslieder in verschiedenen Sprachen. Es war einfach fantastisch. Ich werde das nie vergessen. Es war absolut umwerfend."
Mit ihrem Medley gewinnen die Briten den Publikumspreis und eine Menge DDR-Mark. In Pfund umtauschen geht nicht. Die Band verteilt das Preisgeld großzügig beim Feiern. Kauft sich vom Rest unter anderem Ferngläser von Carl Zeiss und Fotokameras. "Und als wir zurück nach England kamen und durch den Zoll gingen," erinnert sich Tom Topping, "habe ich alles deklariert. Klar, bin ein ehrlicher Typ. Es hat mich ein Vermögen gekostet."
Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Radio MV | Kulturjournal | 16.05.2025 | 19:00 Uhr