Ein Flugzeug startet am Flughafen Hannover - fotografiert durch Stacheldraht am Flughafenzaun.

Niedersachsen Abschiebungen: Gewerkschaft der Polizei fordert mehr Personal

Stand: 10.05.2025 10:50 Uhr

Die neue schwarz-rote Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz (CDU) will mehr abgelehnte Asylbewerber abschieben. Die Gewerkschaft der Polizei in Niedersachsen warnt vor zu hohen Erwartungen.

Fast 3.800 abgelehnte Asylbewerber in Niedersachsen sind zurzeit vollziehbar ausreisepflichtig. Das heißt: Sie könnten abgeschoben werden. In der Praxis gibt es Probleme. Im kompletten vergangenen Jahr sind in Niedersachsen nur 1.340 Menschen abgeschoben worden. Das geht aus Zahlen des Innenministeriums hervor. Etwa jede zweite Abschiebung scheitert. Die Gewerkschaft der Polizei vertritt die Mitarbeitenden, die die Abschiebungen vornehmen. Kevin Komolka ist Landeschef der Gewerkschaft der Polizei in Niedersachsen.

Herr Komolka, die Bundesregierung hat angekündigt, die Zahl der Abschiebungen massiv zu erhöhen. Ist das leistbar?

Kevin Komolka: Grundsätzlich sollte es leistbar sein. Aber für die Abschiebungen sind die Verwaltungsvollzugsbeamten der Landesaufnahmebehörde zuständig. Von diesen Kräften haben wir nicht genug, so dass es immer darauf hinauslaufen wird, dass Rückführungen nur mit Hilfe der Polizei abgewickelt werden können. Und da kommen wir an unsere Grenzen, wenn die Polizei diese Aufgaben auch noch in großem Maß wahrnehmen soll.

GdP-Landeschef Kevin Komolka.

GdP-Landeschef Kevin Komolka.

Wie viel zusätzliches Personal bräuchten Sie für mehr Abschiebungen?

Komolka: Sie müssen sehen, dass die Polizei in Niedersachsen jetzt schon etwa 1.500 bis 1.600 Mal pro Jahr die Verwaltungskräfte bei Abschiebungen unterstützt - und einen großen Teil der Rückführungen macht die Polizei auch ganz alleine. Für die Polizei haben wir mindestens 1.000 zusätzliche Stellen gefordert. Auch für die Landesaufnahmebehörden müssten wir einen deutlichen Personalzuwachs haben. Wir müssen wegen der neuen Bundesregierung in eine realistische Betrachtung gehen, was die Kolleginnen und Kollegen da leisten können und wie der tatsächliche Personalbedarf aussieht. Außerdem müssen wir über die Arbeitsbedingungen für die Verwaltungsvollzugsbeamten und über Zuschläge für Einsätze in der Nacht reden. 

Abschiebungen scheitern, weil Papiere fehlen oder abgelehnte Asylbewerber untertauchen. Welche Gründe gibt es noch?

Komolka: Das sind ganz praktische Gründe. Abschiebungen laufen in erster Linie auf freiwilliger Basis. Wenn sich jemand wehrt oder sich auf der Fahrt zum Abschiebeflughafen selbst verletzt, dann kann eine Rückführung scheitern. Oder: Die abzuschiebende Person wehrt sich am Flughafen mit Händen und Füßen - dann hat am Ende der Pilot die Möglichkeit, denjenigen nicht mitzunehmen. Auch das weitere Personal im Flugzeug kann eine Abschiebung ablehnen, wenn der Abzuschiebende renitent ist oder gesundheitliche Probleme hat.

Was brauchen die Verwaltungskräfte im Alltag? Wie sieht es mit der Ausstattung aus?

Komolka: Auch da muss mehr getan werden - zum Beispiel, was die individuelle Ausstattung angeht, Schutzwesten und Handschuhe etwa. Allerdings muss auch der Fuhrpark besser werden: Wir brauchen adäquate Fahrzeuge, um Rückführungen zu ermöglichen. Im besten Fall sind das Busse, die eine Abtrennung zwischen Fahrer- und Fahrgastraum haben und mit denen man lange Strecken über mehrere Hundert Kilometer zurücklegen kann. Das ist nicht immer der Fall.

Verwaltungskräfte, die an Abschiebungen beteiligt sind, fühlen sich hilflos, wenn Einsätze eskalieren. Sie berichten uns, dass sie schon in einer Sammelunterkunft nach einem Besen suchen mussten, um sich zu schützen - weil sie selbst keine Waffen tragen dürfen. Sollten die Kräfte Waffen tragen?

Komolka: Grundsätzlich ist es so, dass sich die Kolleginnen und Kollegen vom Verwaltungsvollzug in einem Graubereich befinden, was die Anwendung von Zwangsmitteln angeht. Sie brauchen die Möglichkeit, rechtssicher handeln zu können. Wir brauchen klare rechtliche Regeln, welche Hilfsmittel sie nutzen dürfen und wann sie wie Gewalt anwenden dürfen. Wir können auch darüber sprechen, ob Reizstoffsprühgeräte wie bei der Polizei sinnvoll wären.

Das heißt, im Moment sind die Verwaltungsvollzugsbeamten, die an Abschiebungen beteiligt sind, völlig unbewaffnet?

Komolka: Genau so sieht das aus. Sie haben sich selbst, um sich zu schützen. Wenn es zu Konflikten kommt, können sie die Polizei hinzuziehen. Da ist es aber so, dass die Kollegen zu ihren Handys greifen und die 110 anrufen müssen. Die Landesaufnahmebehörde und die Polizei sind nicht per Funk vernetzt.

Es gibt keine Funkgeräte? Die Mitarbeiter der Landesaufnahmebehörde wählen bei einer Abschiebung wie jeder andere Bürger die 110?

Komolka: So ist es. Und dann kann es passieren, dass sie in der Warteschleife des Notrufs hängen.

Das Interview führte Torben Hildebrandt, NDR.de.

Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 10.05.2025 | 10:00 Uhr