
Nordrhein-Westfalen Nahost-Krieg: Sorge und Angst bei Juden in NRW
Zwar wird der US-Militärschlag gegen den Iran begrüßt, doch zugleich wachsen die Sorgen über die Folgen bei Jüdinnen und Juden in NRW. Ermittler sehen eine erhöhte Gefahr von islamistischen Anschlägen.
Eigentlich wollte die Zentralstelle Terrorismusverfolgung in NRW am Montag die Bilanz der Ermittlungen im letzten Jahr ziehen, doch nun geht der Blick nach vorn: Die jüngste Entwicklung im Nahen Osten könne "zu einem Anstieg terroristischer Straftaten" in Nordrhein-Westfalen führen, sagte NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) in Düsseldorf dem WDR. Im Moment gebe es noch keine Zunahme, aber man habe das im Blick.

NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne)
Im Vordergrund steht laut Minister Limbach die Gefahr durch den steigenden islamistisch motivierten Terrorismus, gefolgt vom Rechtsextremismus. Aktuell werden den Angaben zufolge in NRW 180 Menschen als sogenannte Gefährder geführt.
Staatsanwalt: Drohungen gegen Juden und US-Bürger
"In den letzten Tagen" habe es seitens des Iran "Bedrohungen gegen jüdische Mitbürger und Bedrohungen gegen amerikanische Bürger" gegeben, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt der Zentralstelle Terrorismusverfolgung, Markus Caspers. "Ich gehe davon aus, dass diese Bedrohungen und diese Taten, die daraus resultieren werden, vor Deutschland nicht halt machen werden." Er sprach von leicht beeinflussbaren jungen Leuten, die sich im Netz radikalisieren.
In den jüdischen Communities in Nordrhein-Westfalen werden die Ereignisse der letzten Tage natürlich genau verfolgt - auch wegen der iranischen Luftangriffe auf Israel. Zugleich gibt es wegen des Kriegs wachsende Sorgen über die Sicherheitslage hier in NRW.
Schon seit Jahrzehnten, besonders streng aber seit dem Hamas-Terrorangriff vom 7. Oktober 2023, müssen jüdische Einrichtungen auch in Nordrhein-Westfalen wegen der Anschlagsgefahr von der Polizei beschützt werden. Antisemitismus nimmt laut verschiedenen Studien zu.
Nach Angaben eines Sprechers des Innenministeriums vom Montag gibt es derzeit keine verschärften Sicherheitsmaßnahmen wegen der aktuellen Lage. Das Landeskabinett hatte erst Ende 2024 die Finanzmittel für die Sicherheit jüdischer Einrichtungen erhöht. In NRW finden ab diesem Montag bis zum 30. Juni die Jüdischen Kulturtage Rhein-Ruhr mit zahlreichen Veranstaltungen in mehreren Städten statt.

Abraham Lehrer ist Vorstandsmitglied der Synagogen-Gemeinde Köln und Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland
Falls es durch die aktuelle Lage in Nahost zu vermehrten Anschlagsplanungen kommen könne, wie von Minister Limbach erwähnt, "müssen die Polizeibehörden dem Rechnung tragen und die Sicherheitsmaßnahmen ab sofort anpassen", sagte der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, dem WDR. Er ist zugleich Vorstandsmitglied der Kölner Synagogen-Gemeinde. "Es muss verhindert werden, dass jüdische Gemeinden Ihre Aktivitäten wegen der Lage in Deutschland oder der Geschehnisse in Nahost reduzieren oder gar einstellen." Gefordert sei hier auch NRW-Innenminister Reul (CDU).
Jüdinnen und Juden zwischen Sorge und Panik
Die jüdischen Gemeindemitglieder seien aufgrund der Erfahrung mit dem Iran "besorgt", so Lehrer weiter. "Der Iran hat in der Vergangenheit immer wieder dazu aufgerufen, jüdische Einrichtungen auch in Deutschland zu attackieren. Wir haben weltweit Erfahrungen mit Anschlägen, die im Iran geplant oder in Auftrag gegeben worden sind." Und dies hätten die Gemeindemitglieder auch in NRW nicht vergessen. Lehrer: "Insofern muss damit gerechnet werden, dass der Iran auch gegen jüdische Einrichtungen wieder vorgehen könnte."
"Die Stimmungslage in den jüdischen Gemeinden, wie ich sie wahrnehme, ist so, dass jeder Mensch etwas anders reagiert. Manche sind wachsam, passen jetzt besonders auf und manche äußern ihre Angst", so Lehrer. "Einige neigen zu Panik, halten ihre Kinder zurück und schicken sie nicht mehr zu Freizeitaktivitäten. Die Gefühlslage der Jüdinnen und Juden ist gemischt – ähnlich wie das bei ähnlichen Vorfällen auch in der nichtjüdischen Gesellschaft wäre."
"Wir passen ein bisschen mit auf euch auf"
Zum Luftangriff der USA sagte Lehrer: Eine "sehr große Mehrheit" der jüdischen Gemeindemitglieder, ähnlich wie in der Bevölkerung in Israel, sage: "Es war richtig, den Iran anzugreifen." Zugleich wachsen die Sorgen, wie Zentralrats-Vizechef Lehrer schildert: "Wie wird der Iran darauf reagieren? Wird er versuchen, die USA zu treffen und dann schlägt Amerika wieder zurück, mit der Folge eines großen Krieges?" Und hinzu komme die Sorge, dass man als Jude auch außerhalb von Israel mit hineingezogen werden könnte, "in Geiselhaft vom Iran genommen wird", so Abraham Lehrer. Es sei auch "schwer, den Leuten diese Angst zu nehmen, denn der Iran hat das schon so gehandhabt".
"Der Politik, aber auch der Restgesellschaft, sollte klar sein, dass jüdische Menschen in NRW und in Deutschland nochmal ein gesteigertes Gefühl von Unsicherheit haben aufgrund der jüngsten Entwicklung", sagte Abraham Lehrer. "Die Politik sollte das zur Kenntnis nehmen und gegebenenfalls nochmal Sicherheitsmaßnahmen hochfahren. Aber auch die Gesellschaft als solche sollte das Zeichen senden, wir stehen an eurer Seite. Wir passen ein bisschen mit auf euch auf. Das ist etwas, was jüdische Menschen beruhigen könnte."
Über dieses Thema berichtet der WDR am 23.06.2025 auch im WDR Hörfunk im Magazin Westblick auf WDR5 um 17:05 Uhr.
Unsere Quellen:
- Minister Limbach und Oberstaatsanwalt Markus Caspers in WDR-Interviews
- Abraham Lehrer im WDR-Interview