Die historische Empfangshalle des ehemaligen Flughafens ist vor Wohnblöcke des Heckert-Gebiets in Chemnitz zu sehen.

Sachsen Ausstellung: Chemnitz als Spiegelbild der DDR-Architektur

Stand: 05.05.2025 07:48 Uhr

Es ist ein besonderes Erbe: Eine neue Ausstellung im Chemnitzer Schloßbergmuseum beschäftigt sich mit der Neugestaltung der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals sollte die Metropole unter dem neuen Namen Karl-Marx-Stadt ein Idealbeispiel für das Leben im Sozialismus werden. Die Sonderausstellung zeigt dabei auch überraschende internationale Einflüsse auf die Stadtgestaltung.

Von Grit Krause, MDR Kulturdesk

Zwischen 1953 und 1990 trug die Stadt Chemnitz den Namen Karl-Marx-Stadt: Eine neue Ausstellung im Chemnitzer Schloßbergmuseum zeigt nun, wie diese Phase die heutige Kulturhauptstadt geprägt hat. Denn mit dem aufgedrückten neuen Namen war auch eine Programmatik und ein Ziel verbunden: eine sozialistische Musterstadt. Da die Industriestadt im Zweiten Weltkrieg zu großen Teilen zerstört worden ist, konnte die DDR-Regierung viele städtebauliche Ideen umsetzen. Die Sonderausstellung zeigt dabei, dass die Ideen und Probleme über die Grenzen der Sowjetstaaten hinausreichten.

Internationale Einflüsse in Chemnitz

Die Stadthalle mit Kongresshotel, das 1971 eingeweihte Karl-Marx-Monument und die breiten Magistralen – all das verbinden viele Menschen in Chemnitz heute mit sozialistischem Städtebau. Die Straße der Nationen widerlegt das allerdings gleich wieder: Denn Pate für diesen Boulevard im Zentrum der Stadt mit den hohen Wohnblöcken und den vorgelagerten zweigeschossigen Ladenpavillons stand unübersehbar die Lijnbaan, die Fußgängerzone in Rotterdam.

Blick auf das Karl-Marx-Monument im Zentrum von Chemnitz

Das Karl-Marx-Monument, umgangssprachlich Nischel genannt, ist ein Wahrzeichen von Chemnitz.

"Das beginnt alles in der Weimarer Republik und viele der Architekten, die damals jung gewesen sind, haben dann auch den Wiederaufbau begleitet, in Ost und in West", erklärt Peer Ehmke, der Kurator der Ausstellung. Als Beispiel für diese Funktionalarchitektur nennt er Richard Paulick. Der aus Roßlau stammende Architekt war ein Assistent des Bauhaus-Gründers Walter Gropius und später Chefarchitekt der Satellitenstadt Halle-Neustadt. Ein entscheidender Impuls war 1957 die Interbau in West-Berlin, die Internationale Bauausstellung.

Die DDR entdeckt das moderne Bauen für sich

Das Who is Who der Architektur hatte sich versammelt und Entwürfe geliefert, nach denen das im Krieg zerstörte Hansaviertel wieder aufgebaut wurde. Es avancierte daraufhin zum Maßstab des "Neuen Bauens", auch für die Architektur und Stadtplanung in der DDR.

Tatsächlich finden sich Elemente in Chemnitz wieder, zeigt Ehmke: So hätten etwa die V-Stützen des Oscar-Niemeyer-Hauses in Berlin ihren Niederschlag in dem Sporthochhaus in Chemnitz gefunden. Auch zwischen den Neubaublocks, die ab 1960/61 gebaut worden sind, und dem Gebäude von Alvar Aalto in Berlin findet der Ausstellungsmacher "große Ähnlichkeiten".

Blick auf den Sockel des Zeilenhochhaus des Architekten Oscar Niemeyer in Berlin das auf V-förmigen Streben steht.

Der Sockel des Oscar-Niemeyer-Hauses hat die Stadtplanung in Chemnitz inspiriert.

Aus Chemnitz wird Karl-Marx-Stadt

Welche Rolle diese internationalen Bezüge beim städteplanerischen Neubeginn spielten, erzählt die Ausstellung "Die neue Stadt – Chemnitz als Karl-Marx-Stadt". Allerdings fiel der Startschuss dafür nicht direkt nach den verheerenden Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg, also auch nicht, als die sächsische Arbeiterstadt 1953 auf Anordnung der SED-Regierung nach dem Vordenker des Kommunismus umbenannt wurde.

 Man wollte sich von dieser radikalen Moderne abheben. Dann hat man aber gemerkt: Eigentlich ist es so viel günstiger. Peer Ehmke | Ausstellungskurator

"Man wollte ja eigentlich diesen stalin'schen Zuckerbäckerstil weiterführen, man wollte sich von dieser radikalen Moderne abheben", erläutert Peer Ehmke. "Dann hat man aber gemerkt: Eigentlich ist es so viel günstiger, man kann größere Ergebnisse in kürzerer Zeit erreichen." Dann sei das ins Rollen gekommen, die neue Stadtgestaltung wurde umgesetzt.

Historische Fotografien, Baupläne, Leuchtreklamen, wie die der legendären Tanzbar Kosmos, aber auch Architekturmodelle und Alltagsgegenstände aus den Jahren, als das Stadtzentrum erbaut wurde (1960 bis 1974) werden im Hauptteil der Ausstellung gezeigt. Bei der Präsentation der Exponate hat man sich passenderweise an der Architektur der Zeit orientiert und sich von den typischen Vorhangfassaden inspirieren lassen.

Chemnitz ist überall

Vieles – wie beispielsweise die Hochstraßen – blieb am Ende Vision. Denn ab 1974 stand der soziale Wohnungsbau ganz oben auf der Agenda: Der Grundstein für das Wohngebiet "Fritz Heckert" wurde gelegt. Eine Stadt vor der Stadt, wie Stefan Thiele, Leiter des Chemnitzer Schloßbergmuseums erklärt.

"Das ist eine Entwicklung, die nicht nur typisch ist für den Osten Deutschlands, also für die ehemalige DDR, sondern die auch im Westen des Landes und auch in anderen Ländern Europas rezipiert wurde." Vom Grundsatz her seien diese "Dinge austauschbar gewesen", so der Museumschef.

Schwarz-Weiß-Bild: Mehrere Autos parken vor zwei langen Wohnblöcken.

Ab 1974 entstand die Fritz-Heckert-Siedlung, um günstigen Wohnraum in der Industriestadt zu schaffen.

Dabei verweist Museumschef Stefan Thiele auf Fotografien von Wohnblocks in Chemnitz, Berlin und München. Ähnliche Vergleiche werden an anderer Stelle bei den Betonbauten des so genannten Brutalismus gemacht: massive, massige Kirchen, Unigebäude und Wohnhäuser in Österreich, Lichtenstein oder Spanien.

Das ist eine Entwicklung, die nicht nur typisch ist für die ehemalige DDR, sondern die auch in anderen Ländern Europas rezipiert wurde. Stefan Thiele | Leiter des Chemnitzer Schloßbergmuseums

Aufarbeitung der Karl-Marx-Stadt

Das sind auch Ergebnisse einer Tagung im vergangenen Jahr, die Stefan Thiele und sein Team in Vorbereitung auf die Sonderschau organisiert hatten. Denn im Museum war dieser Teil der Stadtgeschichte bisher unterrepräsentiert. "Es ist ja schon eine Sache für sich, dass man einer Stadt einen neuen Namen aufpfropft und das macht ganz viel mit dem Bewusstsein der Bevölkerung, mit ihrem Verhältnis zur Geschichte", meint Thiele.

Eine Menschenmenge auf einer breiten Straße umringt eine schwarze Lok.

Magistralen wie die Straße der Nationen, in diesem Jahr Schausplatz für die Eröffnung des Kulturhauptstadtjahres, waren prägend für die sozialistische Modellstadt.

Die Geschichte bedürfe einer sorgfältigen Aufarbeitung. Dafür gäbe es bei den Kunstsammlungen Chemnitz, zu denen das Schloßbergmuseum gehört, genug Material. Es fehlten aber "die Kapazitäten, das in einer Art und Weise vorzubereiten, dass man das am Ende auch ausstellen kann".

Kreatives Ausstellungskonzept

Den Platzmangel zumindest hat das Ausstellungsteam kreativ umschifft, indem sich die Sonderausstellung durch das gesamte Schlossbergmuseum zieht, inselartig zum Beispiel zwischen gotischen Altären und Heiligenfiguren auftaucht. Ein Experiment! Wobei die Hoffnungen auf einen zweiten Standort noch nicht ad acta gelegt sind. Dann sicher am liebsten in einem passenden Gebäudeensemble der "Neuen Stadt" – aus der Zeit, als Chemnitz Karl-Marx-Stadt war.

Informationen zur Ausstellung

"Die neue Stadt – Chemnitz als Karl-Marx-Stadt"
Sonderausstellung bis 1. Februar 2026

Adresse:
Schloßbergmuseum
Schloßberg 12
09113 Chemnitz

Öffnungszeiten:
Dienstag, Donnerstag bis Sonntag und an Feiertagen, von 11 bis 18 Uhr
Mittwochs, von 14 bis 21 Uhr
Montags geschlossen

Eintritt:
8 Euro, ermäßigt 5 Euro

redaktionelle Bearbeitung: tsa, lm