Eine Frau liegt in einem Bett und trägt eine Maske.

Schleswig-Holstein Anne im Dunkeln: Die Krankheit ME/CFS

Stand: 10.05.2025 10:00 Uhr

Von der neurologischen Erkrankung ME/CFS sind etwa 600.000 Menschen in Deutschland betroffen. Geräusche, Licht und Bewegung führen zu zeitlich verzögerter Erschöpfung.

Wir sprechen lieber nicht, als wir das Zimmer betreten, das Anne Struve-Schmidt seit anderthalb Jahren nicht verlassen hat. Es ist abgedunkelt. Trotzdem trägt die 38-Jährige aus Flensburg-Weiche eine Augenmaske und Schallschutz-Kopfhörer. Sie liegt im Bett. Sobald ein äußerer Reiz auftritt, bekommt sie rasenden Puls, Tinnitus, akustische Halluzinationen und ein inneres Zittern. Sie leidet zudem unter Muskelschwäche.

Nur in guten Momenten kann sie inzwischen wieder sprechen. Als "Anne-In-The-Dark" berichtet sie sogar auf Instagram von ihrem Leidensweg. Doch das strengt sie ungemein an.

600.000 Menschen in Deutschland leiden unter ME/CFS

Von der neurologischen Erkrankung sind nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS bundesweit rund 600.000 Menschen betroffen, darunter auch viele jüngere Menschen. Die Zahl habe sich infolge der Corona-Pandemie verdoppelt. Die Abkürzung steht für "Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue Syndrom". Es gibt eine Schnittmenge zu Post-Covid-Symptomen, die oft Erschöpfungszustände beinhalten. Wie es zu der Krankheit kommt, ist noch nicht ausreichend erforscht.

Symptome nach Infektionen

So wissen auch Anne und ihr Mann Hannes Schmidt bis heute nicht, was letztlich der Auslöser für die Erkrankung war. 2013 hatte ein Zeckenbiss beim Urlaub in Südfrankreich eine Borreliose ausgelöst, die mit Antibiotika behandelt wurde. Unter anderem strengten sie Wanderungen mehr an als vorher. Doch der Zustand besserte sich. Vor einem Mexiko-Urlaub 2017 lässt sie sich gegen Hepatitis impfen. Auf der Reise und danach geht es ihr dann wieder etwas schlechter.

Eine Frau und ein Mann lächeln an einem Strand in eine Kamera.

Ein Bild aus besseren Zeiten: Der Mexiko-Urlaub 2017, nach dem allerdings die Symptome wieder zunahmen.

Crash kurz nach der Elternzeit

Im Juni 2022 erkrankt Anne Struve-Schmidt an Covid mit einem milden Verlauf. Parallel dazu wird sie schwanger, zum zweiten Mal. Ihre erste Tochter aus einer vorherigen Beziehung ist bereits volljährig. Nun kommt Tochter Lykke auf die Welt. Nach der Elternzeit will die Kinder-Psychotherapeutin wieder voll in ihren Beruf einsteigen. Eine Woche später kommt ihr erster großer Zusammenbruch. Nach dem Essen bekommt sie oft Hautausschlag. Sie schafft es nicht mehr, sich mit ihrer Tochter zu beschäftigen. Lykke darf das Zimmer ihrer Mutter nicht mehr betreten.

Belastungen wirken zeitlich verzögert

Es ist ihr selbst zu viel, wenn ihr Mann mit ihr spricht. Sie versuchen zu kommunizieren, indem er ihr Buchstaben auf die Haut schreibt. Später lernen sie, dass sich bei ME/CFS Belastungen mit einer zeitlichen Verzögerung auswirken. "Es sind vielleicht zwei Tage," sagt er. Anne braucht von nun an Vollzeitpflege, die Hannes weitgehend übernimmt. Trotzdem arbeitet Hannes Schmidt weiter als Sonderschullehrer, denn das Geld wird dringend gebraucht.

Familie bezahlt Therapien und Fachärzte aus eigener Tasche

1.500 Euro pro Monat bezahle die Familie aus eigener Tasche für Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel, berichtet er. Die digitale Spendenkampagne "Es geht um Anne" hat rund 46.000 Euro eingebracht, die aber allmählich schwinden. Anne Struve-Schmidt ist zwar gesetzlich versichert, es gebe jedoch kaum Medikamente, die von den Krankenkassen bezahlt werden. In Behandlung ist sie jetzt bei einer Fachärztin aus dem Allgäu, mit der sich Hannes Schmidt in regelmäßigen Videokonferenzen bespricht. Doch auch deren Honorar bezahlt die Familie selbst.

Eine Frau hält ein Kind auf dem Arm.

Tochter Lykke war anderthalb Jahre alt, als sie nicht mehr zu ihrer Mutter durfte.

Neue Bundesregierung will Forschung fördern

Dankbar ist der 35-Jährige dafür, dass sich die von der Krankenkasse bezahlte Hausärztin Zeit für Hausbesuche nimmt. Diese berichtet jedoch gegenüber NDR Schleswig-Holstein, dass der Aufwand im Verhältnis zum pauschalen Honorar hoch sei. In der Politik ist das Thema zumindest angekommen. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, die Forschung zu "postinfektiösen Erkrankungen" zu fördern. Genannt sind dort Long Covid, ME/CFS und PostVac. Letzteres bezieht sich auf Symptome, die auf Impffolgen zurückgehen können.

Fehldiagnose Psychosomatik

Eine weitere Herausforderung: die Diagnose. In der Flensburger Selbsthilfegruppe hört Hannes Schmidt von Fällen, in denen Ärzte zunächst eine psychosomatische Störung vermuten. Wenn Erkrankte dann in der Reha zu Aktivitäten animiert würden, sei das genau das Falsche. Zudem kämpfen Betroffene mit leichterem Verlauf oft um die Anerkennung von Behinderungsgrad und Pflegestufe. Sie können zwar noch Tätigkeiten verrichten und arbeiten, doch das schadet ihnen.

Lykke darf wieder zu Mama

Annes Perspektive schien lange ausweglos, Sterbehilfe wurde Thema. Doch jetzt bekommt sie ein Medikament, das das Immunsystem stimuliert - es scheint zu wirken. Als Tochter Lykke nach anderthalb Jahren endlich wieder zu ihrer Mama durfte - ein emotionaler Moment für alle. Inzwischen verbringen beide täglich wieder 15 Minuten miteinander. "Wir haben wieder Hoffnung," sagt Hannes.

Demonstration im Liegen am 10.5. in Husum
Rund um den internationalen ME/CFS-Tag wollen Betroffene und Angehörige von postinfektiösen Erkrankungen auf ihre Situation aufmerksam machen. Genannt sind auch Long Covid und PostVac. Vor dem Rathaus am Husumer Hafen (Kreis Nordfriesland) startet um 15 Uhr eine "Liegenddemo". Bereits ab 11 Uhr ist ein Infostand aufgebaut.

Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Schleswig-Holstein Magazin | 10.05.2025 | 19:30 Uhr