
Computerspiele mit ernstem Inhalt Bildung statt Ballern - der Boom der Serious Games
Spielen und gleichzeitig die Demokratie fördern: Immer mehr Museen, Gedenkstätten und Bildungseinrichtungen entdecken das Gaming für sich. Auch kommerzielle Entwickler setzen zunehmend auf mehr als nur Spielspaß.
Frankfurt 1956. Elf Jahre nach dem Ende des NS-Regimes ist die braune Vergangenheit kaum aufgearbeitet. Die junge Staatsanwältin Ester Katz kommt ins Team von Fritz Bauer. "Willkommen an der Front", begrüßt sie der legendäre hessische Generalstaatsanwalt, der die Auschwitz-Prozesse ins Rollen brachte. So beginnt das Computerspiel "The Darkest File".
Die Spieler schlüpfen in die Rolle von Esther Katz und ermitteln gegen Täter aus der NS-Zeit - vom Anfangsverdacht bis zum Prozess. Die Staatsanwältin ist fiktiv, die Fälle aber sind real. Der erste Fall dreht sich beispielsweise um einen Mann, der 1945 in München von der Polizei ohne Begründung verschleppt und später ermordet aufgefunden wird. Im Visier: die Beamten, die ihn in Gewahrsam nahmen.
Das Spiel um Fritz Bauer gehört zu einer Reihe von Computerspielen, die immer mehr Raum in der Welt der Videospiele einnehmen: Serious Games. Spiele, die einen Bildungsanspruch haben. Auch Erinnerungs- und Bildungsstätten investieren immer häufiger Geld in solche Games, um junge Menschen zu erreichen und demokratiefördernde Werte zu vermitteln. Eine Chance für die Bildungsarbeit - gerade jetzt, da sich viele Jugendliche nach rechts orientieren.
Große Blockbusterspiele oft nur Unterhaltung
Mit seiner Firma Paintbucket hat Jörg Friedrich "The Darkest Files" entwickelt und verfolgt ein klares Ziel. Man wolle zeigen, "wie diese kleinen, furchtbaren Verbrechen in so einem Unrechtsstaat passieren können, ohne dass sie bestraft werden. Und wie das eigentlich denselben Geist atmet, der dann Ausschwitz möglich macht", sagt er.
Fast alle Spiele der Firma wollen mehr sein als reine Unterhaltung und auch Wissen vermitteln. Im Vorgängerspiel "Through the Darkest of Times" zum Beispiel geht es um zivilen Widerstand während der Nazi-Herrschaft. Das Studio gewann dafür 2020 den deutschen Entwicklerpreis.
Immer noch seien die meisten Blockbusterspiele reine Unterhaltung. Dabei würden viele Menschen mehr Zeit mit Spielen verbringen als mit Büchern oder Filmen. "Ich halte Games für das erzählende Leitmedium dieses Jahrhunderts, und wenn da bestimmte Geschichten gar nicht stattfinden, ist das ein Problem."
Serious Games erobern Initiativen und Bildungsstätten
Der Historiker Matej Samide von der Stiftung Digitale Spielekultur erkennt aktuell einen Gegentrend in der Spielindustrie - hin zu ernsthafteren Inhalten. "Computerspiele sind als Medium erwachsen geworden. Sie versuchen, große Geschichten zu erzählen und auch etwas zu transportieren", sagt er auf der Digitalkonferenz re:publica.
In Deutschland spielen laut dem Spieleverband GAME sechs von zehn Menschen Videospiele. Das sei eine große Chance für die Bildungsarbeit. "Indem ich direkt interagiere, habe ich eine ganz andere Beziehung zum Erlebten, als wenn ich es gelesen oder gesehen habe", sagt Samide.
Das machen sich auch immer mehr Initiativen und Bildungsstätten zunutze und investieren in die Entwicklung von Serious Games. Die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus hat ein Spiel für Schüler entwickelt, das den Umgang mit Toleranz lehren soll: "Das Ilios-Experiment". Fadl Speck von der Initiative hat das Spiel mitentwickelt.
"Wir müssen die Zielgruppe da abholen, wo sie ist", sagt Fadl Speck. Man finde in die Lebenswelt von Jugendlichen. "Schon das honorieren die Jugendlichen: dass wir auf diese Ebene kommen." Zumal die Initiative Schulklassen erlebe, "in denen die Einstellungen zunehmend rechts wegdriften".
Politische Bildung auf Augenhöhe
Im "Ilios-Experiment" müssen sich die Schüler in der fiktiven Zukunftsstadt Ilios zurechtfinden. Dort gibt es einen Score, der tolerantes Verhalten belohnt und intolerantes bestraft. "Da passiert unglaublich viel Reflektion", sagt Speck. "Oft haben wir gehört: 'Ich kenne diese Situation, das habe ich schon erlebt'."
Dennoch sei das Spiel kein Allheilmittel. "Dieses Spiel wird niemanden aus einem rechten Mindset rausholen, und das kann es auch gar nicht", so Speck. "Trotzdem bietet so ein Spiel die Möglichkeit, eine Tür aufzustoßen." Warum also nicht spielend lernen? Matej Samedi hat als Jugendlicher am liebsten "Age of Empire" gespielt. Es enthält viele historische Elemente. Das habe ihn dazu gebracht, Geschichte zu studieren. Heute ist er Historiker.