
Nach Blockade Israels Erste Hilfsgüter seit Monaten erreichen Gaza
Drei Monate hatte Israel Hilfslieferungen in den Gazastreifen blockiert. Nun sind wieder erste Lkw mit humanitären Gütern über die Grenze gefahren. Deutschland und zahlreiche weitere Ländern fordern in einem Appell wieder "vollständige" Hilfen.
Nach einer fast dreimonatigen Blockade sind nach israelischen Angaben erstmals wieder Hilfslieferungen für die notleidende Bevölkerung in den Gazastreifen gekommen. Laut der für Palästinenserangelegenheiten zuständigen Behörde Cogat erreichten fünf Lastwagen mit Hilfsgütern das Küstengebiet über den Grenzübergang Kerem Schalom. Die Vereinten Nationen sprachen von neun Lkw.
UN-Nothilfekoordinator Tom Fletcher sagte, die Genehmigung einer Wiederaufnahme von "begrenzten" Hilfen durch Israel sei eine "willkommene Entwicklung, die weiter gelten muss". Aber "das ist ein Tropfen auf den heißen Stein", so Fletcher.
Hungerkrise im Gazastreifen
Israel hatte am Sonntag nach internationalem Druck erklärt, man werde "eine Grundmenge an Lebensmitteln für die Bevölkerung zulassen, um sicherzustellen, dass es im Gazastreifen nicht zu einer Hungerkrise kommt". Nach Angaben von Hilfsorganisationen gibt es in dem Küstenstreifen allerdings längst eine Hungerkrise.
Der Grenzübergang war von Israel elf Wochen lang vollständig blockiert worden. Das Land hatte das damit begründet, die Terrororganisation Hamas würde die Hilfsgüter gewinnbringend weiterverkaufen, um ihre Kämpfer und Waffen zu finanzieren.
Geberländer fordern "vollständige" Wiederaufnahme von Hilfen
Unterdessen haben die Außenministerinnen und Außenminister von Deutschland und zahlreichen weiteren Ländern Israel zur einer vollständigen und sofortigen Wiederaufnahme der Hilfen für den Gazastreifen aufgefordert. Israel müsse "sofort eine vollständige Wiederaufnahme der Hilfen für den Gazastreifen" erlauben, hieß es in einer vom Auswärtigen Amt veröffentlichten Erklärung von Geberländern.
Die Anzeichen für eine begrenzte Wiederaufnahme der Hilfen würden "anerkannt", die vom Hungertod bedrohte Bevölkerung im Gazastreifen müsse aber "die Hilfe erhalten, die sie verzweifelt benötigt", hieß es darin weiter. Zu den Unterzeichnern gehören nach Angaben des Auswärtigen Amts unter anderem die Außenminister Kanadas, Frankreichs, Italiens, Spaniens, Schwedens und Großbritanniens, aber auch die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas.
In der Erklärung heißt es auch, dass das "palästinensische Gebiet weder verkleinert noch demografischen Veränderungen unterworfen werden" dürfe. Daneben fordern die Außenminister, dass die Hamas "alle verbleibenden Geiseln unverzüglich freilassen und die Verteilung humanitärer Hilfe ohne Behinderung ermöglichen muss".
London, Paris und Ottawa drohen mit Sanktionen
Noch weiter gehen die Regierungen von Großbritannien, Frankreich und Kanada. Sie drohen Israel sogar mit "konkreten Maßnahmen", darunter auch Sanktionen. In einer gemeinsamen Mitteilung kritisierten die drei Länder, der Entschluss, nach einer fast dreimonatigen Blockade des Gazastreifens zwar wieder Hilfslieferungen in das Küstengebiet zuzulassen, aber nur in begrenztem Umfang, sei "völlig unzureichend".
Sie forderten Israel auf, seine "ungeheuerlichen" neuen Militäraktionen im Gazastreifen zu stoppen und unverzüglich humanitäre Hilfe zu ermöglichen. Man habe das Recht Israels, sich gegen Terrorismus zu verteidigen, stets verteidigt, doch sei die Eskalation unverhältnismäßig.
Netanjahu bestätigt Umkehr durch internationalen Druck
Zuvor hatte Premierminister Benjamin Netanjahu erklärt, dass die Wiederaufnahme der Hilfslieferungen auf den Druck ihrer Verbündeten zurückzuführen sei. In einer Video-Erklärung sagte er, Israels größte Freunde hätten angesichts der Bilder des Hungers die weitere Unterstützung in Frage gestellt. Welche Staaten dies geäußert haben, sagte er nicht. Man dürfe die Bevölkerung nicht im Hunger versinken lassen, sowohl aus praktischen als auch aus diplomatischen Gründen, meinte Netanjahu.
Israels Premier scheint damit auf innenpolitische Kritik zu reagieren. In Teilen seines Kabinetts hatte die Entscheidung, nach monatelanger Blockade wieder Hilfslieferungen in den Gazastreifen zu lassen, für Empörung gesorgt. Netanjahu sprach von einem minimalen Umfang der Transporte. Die Vereinten Nationen sprachen zuvor von 20 an der Grenze wartenden Lkw.
In dem Video ging Netanjahu auch auf die neue Bodenoffensive im Gazastreifen ein. Er kündigte an, die Kontrolle über alle Gebiete des Küstenstreifens übernehmen zu wollen. Erste Pläne waren Anfang Mai nach einer Sitzung des israelischen Sicherheitskabinetts bekannt geworden. Zunächst hatte es aber noch Zweifel gegeben, ob tatsächlich das gesamte Palästinensergebiet gemeint ist. Die Andeutung einer dauerhaften Besetzung rief international massive Kritik hervor.
Israels Armee ruft Anwohner aus Chan Yunis zur Flucht auf
Die israelische Bodenoffensive wird begleitet von massiven Luftangriffen. In der vergangenen Nacht wurden Angriffe unter anderem auf Chan Yunis im Süden des Landes sowie Dschabalia im Norden gemeldet. Dabei wurden mindestens 20 Palästinenser getötet. Die israelische Armee rief die Bewohner des südlichen Gazastreifens zur sofortigen Evakuierung auf. Ein Sprecher kündigte in Chan Yunis und Umgebung einen "nie da gewesenen Angriff" gegen Terroristen an.
Das Gesundheitsministerium der Hamas sprach derweil von 134 Toten innerhalb von 24 Stunden. Es berief sich in seinem täglichen Bericht auf Meldungen aus den Kliniken. Ein Krankenhaus, die Al-Awda-Klinik, berichtete von fünf Todesopfern beim Angriff auf ein Schulgebäude, das als Notunterkunft genutzt wird. Unter den Todesopfern im Flüchtlingslager Nuseirat sei ein junges Mädchen, erklärte das Krankenhaus. 18 weitere Menschen, hauptsächlich Kinder, seien bei dem Angriff verletzt worden.

Zerstörte Häuser nach einem Angriff in Chan Yunis.
Damit stieg laut Ministerium die Zahl der getöteten Palästinenser im Gazastreifen seit Beginn des Krieges auf 53.486. Die Angaben können nicht unabhängig überprüft werden. Die Vereinten Nationen und andere internationale Institutionen und Experten halten die vom Gesundheitsministerium übermittelten Daten aber grundsätzlich für weitgehend korrekt.
Israel will Hamas besiegen
Ziel der Offensive ist es laut israelischer Regierung, die Terrororganisation Hamas zu besiegen und die Freilassung der von islamistischen Extremisten festgehaltenen Geiseln zu erreichen. Rechtsextreme Politiker streben aber auch eine Wiederbesiedlung des Gazastreifens an, aus dem Israel sich vor 20 Jahren zurückgezogen hat.
Der Gazakrieg war durch den Großangriff der Hamas und mit ihr verbündeter Kämpfer auf Israel am 7. Oktober 2023 ausgelöst worden. Nach israelischen Angaben waren damals etwa 1.200 Menschen getötet und 251 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt worden. Als Reaktion auf den Hamas-Überfall geht Israel seither massiv militärisch im Gazastreifen vor.