
Merz empfängt Selenskyj Berlin-Besuch in schwieriger Lage
Bundeskanzler Merz hat mit seinen Aussagen zur Reichweitenbeschränkung für Diskussionen gesorgt. Heute ist der ukrainische Präsident Selenskyj in Berlin - eine neue "Taurus"-Debatte läuft bereits.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist nach Berlin gereist und berät sich dort mit Bundeskanzler Friedrich Merz. Eines der jüngsten Treffen der beiden fand vor knapp drei Wochen statt - in Kiew. Merz war gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, dem britischen Premierminister Keir Starmer und Polens Regierungschef Donald Tusk in die ukrainische Hauptstadt gereist. Mit drängenden Forderungen nach einer Waffenruhe und Verhandlungen und lautstarken Drohungen, den Druck auf Russland andernfalls konsequent steigern zu wollen.
Verhandlungen gab es dann zumindest. In der Türkei kamen eine russische und eine ukrainische Delegation zu Gesprächen zusammen. Bis auf die Vereinbarung auf einen Gefangenenaustausch blieb ein durchschlagendes Ergebnis jedoch aus.
Merz sieht Kriegsende in weiter Ferne
Und so dürfte das heutige Treffen auch von Ernüchterung geprägt sein und sich um bereits bekannte Themen drehen. Die Ukraine sieht sich fortwährend schweren russischen Attacken ausgesetzt. Erst am Sonntag hatte Selenskyj von den schlimmsten Angriffen seit Kriegsbeginn gesprochen, nachdem zwölf Menschen durch russische Attacken mit fast 300 Drohnen und fast 70 Raketen auf mehrere Regionen des Landes getötet worden waren. Hinzu kommt der Kampf der ukrainischen Armee am Boden. Vor allem im Osten und Südwesten des Landes geraten die Truppen durch den russischen Vormarsch zunehmend unter Druck.
Ein mögliches Kriegsende sieht Bundeskanzler Merz inzwischen offenbar in weiter Ferne. Kriege gingen in der Regel durch wirtschaftliche oder militärische Erschöpfung einer der beiden Seiten oder beider Seiten zu Ende, sagte er während eines Besuchs in Finnland. "Davon sind wir in diesem Krieg offensichtlich noch weit entfernt. Deswegen rechne ich damit, dass wir uns möglicherweise noch auf eine längere Dauer einzustellen haben", so Merz. Denn auf eine echte Verhandlungsbereitschaft Russland scheint derzeit niemand mehr zu setzen - weder Merz, noch die EU oder die USA.
Selenskyj: Brauchen unbemannte und weitreichende Waffen
Dass sich die Ukraine der anhaltenden Unterstützung aus Deutschland gewiss sein könne, hat Merz bereits mehrfach betont. Doch wie soll die weiterhin aussehen? Neben der nötigen Luftabwehr fehlt es der Ukraine vor allem an "unbemannten und weitreichenden Waffen", wie Selenskyj am Dienstagabend in einer Videobotschaft betonte. Westliche Staaten haben solche Waffen kaum geliefert. Der ukrainische Staatschef drängt darum darauf, die eigene Rüstungsindustrie weiter auszubauen. Russland müsse fühlen, dass alle seine Untaten gegen die Ukraine beantwortet würden. "Schlüsselelemente sind Angriffsdrohnen, Abfangjäger, Marschflugkörper und ukrainische ballistische Raketen. Wir müssen alles produzieren", forderte Selenskyj. Doch dafür braucht die Ukraine auch Geld und die nötigen Rüstungsgüter.
Die im November zerbrochene Ampelkoalition hatte sich stets gegen weitreichende Angriffe der Ukraine auf russisches Staatsgebiet mit aus Deutschland erhaltenen Waffen ausgesprochen. Merz äußert sich nun anders. Es gebe keine Reichweitenbeschränkungen mehr, betonte der CDU-Politiker in Finnland. Denn: "Ein Land, das sich nur im eigenen Territorium einem Angreifer entgegenstellen kann, verteidigt sich nicht ausreichend."
Der Haken: Deutschland hat bisher keine Waffen an die Ukraine geliefert, die für Angriffe weit in russisches Territorium hinein eingesetzt werden könnten. Die größte Reichweite von Waffen, die Deutschland bisher geliefert hat, liegt bei 84 Kilometern beim Raketenwerfer "Mars II". Die Panzerhaubitze 2000 kann Ziele in 56 Kilometern Entfernung treffen.
Erneut Forderungen nach "Taurus"-Lieferungen
Die Vorsitzende des Ausschusses für Sicherheit und Verteidigung im Europaparlament, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, begrüßte Merz' Kehrtwende in Sachen Reichweitenbeschränkung ausdrücklich. Das sei eine "überfällige Entscheidung" gewesen, so die FDP-Politikerin im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk. Sie kritisierte jedoch zugleich, dass die bislang von Deutschland gelieferten Waffen "nicht im Entferntesten" die Reichweite hätten wie etwa die von Großbritannien gelieferten "Storm Shadow"-Marschflugkörper oder die "ATACMS"-Marschflugkörper der USA.
Darum sprach sie Strack-Zimmermann dafür aus, die bisherigen deutschen Waffenlieferungen um "Taurus"-Marschflugkörper zu ergänzen, damit die Ukraine in der Lage sei, russische Militäranlagen zu treffen und Russland auf Abstand zu halten. "Taurus sei "aber keine Wunderwaffe", betonte die Verteidigungspolitikerin. Die Warnung, "der Taurus würde ja Moskau erreichen, ist eine Geschichte, die gerne von Moskau erzählt wird. Wir sollten endlich aufhören, diese Geschichte zu wiederholen", so Strack-Zimmermann.
"Allerhöchste Zeit"
Bundeskanzler Merz hält sich bisher betont bedeckt in Sachen "Taurus", will sich öffentlich möglichst gar nicht dazu äußern. Dabei hatte die Union zu Zeiten der Ampelregierung mehrfach Anträge im Bundestag für eben jene "Taurus"-Lieferungen eingebracht.
Auch jetzt werden erneut Forderungen aus den eigenen Reihen nach einem Umdenken laut. Es sei nun "allerhöchste Zeit, endlich an Taurus auszubilden und das System zu liefern", forderte der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter in der Augsburger Allgemeinen. Die Marschflugkörper könnten "zumindest in Teilen eine Entlastung bringen und somit die Zivilbevölkerung in der Ukraine schützen, wenn das System in größerer Zahl geliefert wird".
Der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Jens Spahn, setzt beim Thema "Taurus" - ähnlich wie Kanzler Merz - auf Zurückhaltung. Und zwar auch mit dem Blick nach Moskau, wie Spahn im rbb-Interview ausführte. "Ich denke, es macht wenig Sinn, über einzelne Waffensysteme zu reden. Putin darf ruhig im Unklaren darüber sein, was wir tun, was wir liefern, welche Möglichkeiten die Ukraine hat. Entscheidend ist, die Ukraine wird so ausgestattet, dass sie ihre Heimat und auch unsere Freiheit verteidigen kann", so der CDU-Politiker. Den Besuch von Selenskyj in Berlin wertete Spahn als "starkes Zeichen" und er betonte, dass "die deutsche Führungsrolle auch in der Verteidigungsunterstützung für die Ukraine" weiterhin gelte.
Auch die Grünen drängen auf die deutsche Zustimmung zu "Taurus"-Lieferungen. "Nur 'Taurus' könnten zentrale militärische Knotenpunkte der russischen Armee in der Grenzregion treffen", betonte Anton Hofreiter. Die Kehrtwende des Kanzlers in Sachen Reichweite sei nicht mehr als eine "Nebelkerze", solange die Bundesregierung den "Taurus"-Lieferungen nicht zustimme.