
Prozessauftakt in München Mutmaßliche "Wegwerf-Agenten" vor Gericht
Drei Deutschrussen müssen sich vor dem Oberlandesgericht München verantworten: Der Generalbundesanwalt klagt die sogenannten Wegwerf-Agenten an, für Russland Sabotageaktionen in Deutschland geplant zu haben.
Am 17. April vergangenen Jahres waren zunächst Dieter S. und Alexander J. in Bayreuth festgenommen worden, Dieter S. ist seitdem in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl gegen Alexander J. wurde im September unter Auflagen außer Vollzug gesetzt. Der dritte Angeklagte, Alex D., geriet im Laufe der weiteren Ermittlungen ins Visier, wurde jedoch bislang nicht festgenommen.
Hauptangeklagter ist Dieter S., dem bereits seit Oktober in anderer Sache der Prozess gemacht wird: S. wird beschuldigt, sich von Dezember 2014 bis September 2016 im Osten der Ukraine einer prorussischen bewaffneten Einheit der "Volksrepublik Donezk" angeschlossen zu haben. Der Generalbundesanwalt klagte ihn deshalb wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung an.
Seit dieser Zeit soll S. auch in Kontakt mit einem Mann gestanden haben, der nach Einschätzung der deutschen Ermittler an einen russischen Geheimdienst "angebunden" ist. Von dieser Person soll S. dann seit Oktober 2023 Instruktionen erhalten haben, um in Deutschland Sabotageakte zu planen. Wegen dieser weiteren Vorwürfe muss er sich seit heute vor dem Münchner Oberlandesgericht verantworten. Die beiden anderen Angeklagten, Alexander J. und Alex D., soll er angestiftet haben.
Vorbereitung von Sprengstoff- und Brandanschlägen
Konkret wirft die Bundesanwaltschaft dem Hauptangeklagten S. vor, er habe sich seinem Kontaktmann gegenüber bereit erklärt, Sprengstoff- und Brandanschläge auf militärisch genutzte Infrastruktur und Industriestandorte in Deutschland zu verüben. Dabei soll ihm Alexander J. spätestens seit März 2024 geholfen haben. Dieter S. soll Objekte ausgekundschaftet und Fotos und Videos, beispielsweise von Militärtransporten, gemacht und seinem Kontaktmann übermittelt haben.
Im Kern soll der Plan gewesen sein, die militärische Unterstützung aus Deutschland für die Ukraine zu sabotieren, beispielsweise indem eine Bahntrasse, die zum Transport von Rüstungsgütern in die Ukraine genutzt wird, zerstört werden sollte. Auch einen Werkzeughersteller in der Nähe von Bayreuth soll S. ins Visier genommen haben, da dort Rüstungsgüter hergestellt werden.
Spionageabwehr stößt vermehrt auf "Wegwerfagenten"
Die drei Angeklagten sind ein Beispiel für das, was die deutsche Spionageabwehr immer wieder beobachtet, seitdem Russland die Ukraine angegriffen hat: die Anwerbung sogenannter Low Level Agents. Dabei handelt es sich um Personen, die keine ausgebildeten Geheimdienstler sind, jedoch von einem russischen Geheimdienst angeworben werden, um in Deutschland und anderen europäischen Ländern Sabotageaktionen durchzuführen gegen Geld.
Im Fall von Dieter S. soll der Kontakt auf eine alte Waffenbrüderschaft zurückgehen, in anderen Fällen werden derartige "Wegwerfagenten", wie sie auf Deutsch genannt werden, übers Internet oder in einschlägigen Telegram-Kanälen rekrutiert worden sein.
Brandsätze in Paketen
Zuletzt waren in der vergangenen Woche drei Ukrainer festgenommen worden - zwei in Deutschland, einer in der Schweiz -, die sich bereit erklärt haben sollen, Pakete mit selbstentzündenden Brand- oder Sprengstoffvorrichtungen von Deutschland Richtung Ukraine zu schicken. Sie sollen von einem oder mehreren Mittelsmännern, mutmaßlich im Auftrag eines russischen Geheimdienstes, angeworben worden sein.
Der Fall erinnert stark an eine ähnliche Operation im Sommer vergangenen Jahres, als von Litauen aus Luftfrachtpakete mit selbstentzündenden Brandsätzen verschickt wurden. Im DHL-Logistikzentrum in Leipzig entzündete sich eines der Pakete und setzte einen ganzen Container in Brand. Nicht auszudenken, was hätte passieren können, wäre das Feuer an Bord eines Flugzeugs ausgebrochen.
Schwierige Beweisführung
Dass Russland auf derartige "ungelernte" Saboteure setzt, hat verschiedene Gründe. Zum einen ist den russischen Geheimdiensten ein großer Teil ihrer operativen Basis in Europa abhanden gekommen, da wiederholt abgetarnte Agenten, die an den russischen Auslandsvertretungen in Europa platziert waren, ausgewiesen wurden, zuletzt in großer Zahl aufgrund des Angriffs auf die Ukraine. Hinzu kommt, dass Russland immer dementieren kann, mit den Sabotage-Operationen etwas zu tun zu haben.
Da der Kontakt zu den "Wegwerfagenten" über Mittelsmänner zustande kommt, lässt sich nicht gerichtsfest beweisen, dass ein russischer Geheimdienst der Auftraggeber war. Gleichzeitig ist das Ziel derartiger Operationen auch gar nicht unbedingt, größtmöglichen Schaden anzurichten, sondern Angst und Verunsicherung in der Bevölkerung hierzulande zu schüren, direkt in den Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt, hineingezogen zu werden.
Die aufwändige Zeit der "alten" Spione
In der "alten" Welt der Spionage galt es als die Königsdisziplin, Menschen mit mühsam aufgebauten, erfundenen Lebensläufen im feindlichen Ausland zu etablieren und sie - oft über einen Zeitraum von vielen Jahren - in einflussreiche Positionen zu bugsieren, in denen sie dann an sensible Informationen kommen. Der "Kanzleramtsspion" Günter Guillaume ist das wohl prominenteste ein Beispiel, der es Anfang der 1970er-Jahre bis zum persönlichen Berater von Bundeskanzlers Willy Brandt brachte - aber stets für das sogenannte Ministerium für Staatssicherheit (Stasi) der DDR arbeitete.
Ähnlich aufwändig verlief die Etablierung des Ehepaars Heidrun und Andreas Anschlag, die über viele Jahre vom hessischen Marburg aus für Russland operierten und nach ihrer Entdeckung den eigenen Kindern offenbaren mussten, dass ihr ganzes Leben eine Lüge war.
So effektiv der Einsatz solcher Agenten auch sein mag: Für die feindlichen Geheimdienste sind derartige Operationen mit riesigem Aufwand verbunden und verlangen viel Geduld. Zudem besteht stets die Ungewissheit, wie Ertrag und Aufwand im Verhältnis stehen. Lohnt es sich wirklich?
Steuerung durch Russland immer mitdenken
All diese Probleme tauchen bei den "Wegwerfagenten" nicht auf: Für einen überschaubaren Geldbetrag wird eine Leistung erkauft. Aus Sicht der Angesprochenen mag es nach viel Geld klingen, für die Geheimdienste sind einige Tausend Euro Peanuts. Und die Aufträge sind simpel: Auspuffrohre von Autos mit Bauschaum zu verstopfen und vermeintliche Flugblätter von Klima-Aktivisten zu hinterlassen, war einfach und dennoch sehr effektiv. Nach Einschätzung der deutschen Ermittler handelte es sich um eine Einflussoperation vor dem Bundestagswahlkampf, die zunächst nach etwas ganz anderem aussah.
Der Fall führte dazu, dass die Polizei ihre Beamtinnen und Beamten sensibilisiert, bei Ermittlungen auch die Möglichkeit einer von Russland gesteuerten Operation mitzudenken.