
Ohne Bundestag und Bundesrat Sichere Herkunftsländer künftig per Rechtsverordnung?
Innenminister Dobrindt will sichere Herkunftsländer per Rechtsverordnung festlegen. Damit würde er vor allem den Bundesrat umgehen. Dort hatten Grüne und Linke solche Pläne immer wieder blockiert. Aber geht das einfach so?
Bereits in dieser Woche könnte die Bundesregierung eine weitere Verschärfung im Migrationsrecht beschließen, wenn der Entwurf aus dem Bundesinnenministerium bis dahin beschlussreif ist. Es geht um ein lang gehegtes Vorhaben: die Liste sicherer Herkunftsländer zu erweitern.
Es ist keine Überraschung, was der neue Innenminister Alexander Dobrindt plant. Seit Jahren möchten verschiedene Regierungen Asylverfahren beschleunigen, indem sie mehr sichere Herkunftsländer definieren.
Gilt ein Land als sicher, wird "vermutet, dass ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird", heißt es in Artikel 16a Absatz 3 des Grundgesetzes. Den Behörden wird dadurch eine genaue Prüfung erspart und sie können so den Asylantrag leichter und schneller als offensichtlich unbegründet ablehnen.
Das wirkt sich auch auf mögliche Klagen aus. Die Verfahren mit offensichtlich unbegründeten Anträgen dauern im Schnitt nur 30 bis 40 Tage statt fast 21 Monate. Flankiert werden soll der Vorschlag damit, dass Geflüchtete in Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam nicht mehr zwingend einen Rechtsanwalt bekommen sollen. Abschiebungen rücken damit zeitlich näher - so jedenfalls der Plan.
Änderungen ohne Bundestag und Bundesrat
Im Koalitionsvertrag versprechen CDU, CSU und SPD, die Liste der sicheren Herkunftsstaaten zu erweitern. Die Rede ist etwa von Algerien, Indien, Marokko und Tunesien. Erreicht werden soll das "durch Rechtsverordnung der Bundesregierung". Anders als ein formales Gesetz müssen solche Verordnungen weder im Bundestag noch im Bundesrat zwingend beraten und beschlossen werden.
Es ist das Recht der Exekutive, dass das Grundgesetz ausdrücklich in Artikel 80 vorsieht. Erforderlich ist dafür allerdings ein formales Gesetz, das die Bundesregierung zum Erlass der Rechtsverordnung ermächtigt. Dieses Gesetz will Dobrindt nun schaffen.
Der Bundesinnenminister könnte so verhindern, dass der Bundesrat die Pläne zunichte macht, wie schon bei seinem Parteikollegen vorher. 2018 wollte CSU-Politiker Horst Seehofer die Liste der sicheren Herkunftsländer um Tunesien, Algerien, Marokko und Georgien erweitern und scheiterte damit in der Länderkammer.
Auch jetzt gibt es Signale vor allem von Grünen und Linken aus den Bundesländern, die den Plänen ablehnend gegenüberstehen. Der Weg über die Rechtsverordnung hebelt das aus.
Klare Regelung im Grundgesetz
Im Asyl-Artikel 16a des Grundgesetzes heißt es zwar auch, dass nur "durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrats bedarf" sichere Herkunftsstaaten bestimmt werden können. Doch das Grundgesetz ist in Dobrindts Plänen nicht die maßgebliche Grundlage. Wie es aus Ministeriumskreisen heißt, will er den Weg über die EU gehen.
"Das Europarecht ist in Asylfragen ohnehin der maßgebliche Prüfungsansatz", erklärt Migrationsexperte Daniel Thym tagesschau.de. "Eigentlich spielt das Grundgesetz nur noch eine untergeordnete Rolle."
Tatsächlich haben im Jahr 2024 nur 0,7 Prozent der Asylantragsteller einen Schutz nach Artikel 16a des Grundgesetzes zugesprochen bekommen. Die meisten bekommen den Flüchtlingsschutz über das EU-Recht. Das Grundgesetzverfahren greift nur, wenn der Geflüchtete nicht über einen sicheren Drittstaat einreist, so sieht es Artikel 16a Grundgesetz vor. Da Deutschland mitten in der EU liegt, ist das nur sehr selten der Fall.
Europarechtlicher Hebel
Bis Mitte 2026 soll ohnehin das Gemeinsame Asylverfahrensrecht (GEAS) der EU anwendbar sein, das wesentliche Änderungen im Migrationsrecht mit sich bringt. Doch bis dahin will Dobrindt offenbar nicht warten. Laut der EU-Richtlinie "zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes" aus dem Jahr 2013 gibt es für Mitgliedstaaten die Möglichkeit, per Rechts- oder Verwaltungsvorschrift selbst zu bestimmen, welches Land als sicher gilt.
Entscheidend sind die ebenfalls in der Richtlinie festgelegten Kriterien. Danach gilt ein Staat als sicher, wenn etwa nach dortiger Lage den Geflüchteten keine unmenschliche Behandlung droht.
Die meisten Asylsuchenden in Deutschland kamen auch in den ersten Monaten 2025 überwiegend aus Syrien und Afghanistan - nach wie vor also aus Ländern, die auch nach dieser Richtlinie wohl kaum als "sicher" gelten dürften.
Aber es ist ein weiteres Signal, dass die Bundesregierung aussenden will: Dass sich in der Migrationspolitik etwas ändert. Für wen und ob überhaupt spürbar, bleibt noch abzuwarten.
In einer früheren Version des Textes war die Rede von "unbegründeten Ablehnungen", gemeint waren aber unbegründete Asylanträge. Wir haben die Textstelle entsprechend geändert.
Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen