Matthias Miersch

Vorstoß aus SPD zu Außenpolitik Auch die SPD-Fraktion geht auf Distanz

Stand: 11.06.2025 19:51 Uhr

Das Positionspapier von mehr als 100 SPD-nahen Personen zu einer anderen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und Gesprächen mit Russland sorgt für Wirbel. Reaktionen aus der Partei fallen teils sehr scharf aus.

Führende Mitglieder der SPD-Fraktion im Bundestag distanzieren sich mit deutlicher Kritik vom "Manifest" aus Parteikreisen, das zuvor bekanntworden war. Die Reaktion von Fraktionschef Matthias Miersch fiel noch gelassen aus: "Das ist legitim, auch wenn ich zentrale Grundannahmen ausdrücklich nicht teile", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Diplomatie bleibe zwar oberstes Gebot, sagte Miersch. "Aber wir müssen auch ehrlich sagen: Viele Gesprächsangebote - auch von Bundeskanzler Olaf Scholz - sind ausgeschlagen worden. Wladimir Putin lässt bislang nicht mit sich reden."

Forderung nach anderem Umgang mit Russland

Prominente Stimmen in der SPD - wenn auch nicht aus der ersten Reihe - hatten in einem Grundsatzpapier eine Umkehr im deutschen Umgang mit Russland und anderen sicherheitspolitischen Fragen gefordert. In dem mit "Manifest" überschriebenen Dokument, das dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt, drängen die Verfasser der "SPD-Friedenskreise" auf Gespräche mit Russland und einen Stopp der Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in Deutschland.

Die mehr als 100 Unterzeichnenden, darunter der frühere Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich, der Außenpolitiker Ralf Stegner, Ex-Parteichef Norbert Walter-Borjans, sowie Ex-Bundesfinanzminister Hans Eichel, stellten sich damit gegen den Kurs der Bundesregierung und auch der aktuellen SPD-Führung. Ob alle Unterschriften von SPD-Mitgliedern stammen, wird nicht deutlich.

Walter-Borjans ging besonders seinen Nachfolger Lars Klingbeil hart an und machte ihm schwere Vorwürfe. Klingbeil gebe die Meinung vieler an der Parteibasis, in der Bundestagsfraktion und in Deutschland nicht wieder, sagte Walter-Borjans der FAZ. "Was fehlt, ist die Doppelbotschaft: Verteidigungsbereitschaft und unablässige Aufforderung zum Dialog", so der Ex-Parteichef weiter. "Es wäre ein falscher Weg, wenn Lars Klingbeil nur auf Aufrüstung setzen würde."

SPD-Fraktionsmitglieder distanzieren sich

Verteidigungsminister Boris Pistorius bezeichnete das Papier als "Realitätsverweigerung". Russland wolle den Frieden nicht, und wenn nur zu eigenen Bedingungen, sagte er der Nachrichtenagnetur dpa. "Mit diesem Putin können wir nur aus einer Position der Stärke verhandeln." Nötig sei die eigene Verteidigungsfähigkeit.

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Sebastian Fiedler, kritisierte den Vorstoß scharf. Das Schreiben habe ihn "irritiert, verstört und verärgert", sagte Fiedler den Sendern RTL und ntv. "Da ist sogar von Zusammenarbeit mit Russland die Rede, also mit einem Kriegsverbrecher, der sich darauf vorbereitet, weitere Angriffsziele in den Blick zu nehmen."

Der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Adis Ahmetovic, distanzierte sich von dem "inhaltlich in weiten Teilen fragwürdigen Papier", das nicht der Beschlusslage von Fraktion und Partei entspreche. Die SPD müsse auch als Friedenspartei, die sie bleibe, erkennen, "dass es neue Realitäten gibt, die neben Diplomatie auch militärische Stärke bedingen". Unter den Unterzeichnenden seien nur fünf SPD-Fraktionsmitglieder.

Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth, schrieb auf X: "Dieses 'Manifest' ist kein spannender Debattenbeitrag, sondern eine weinerliche Melange aus Rechthaberei, Geschichtsklitterung und intellektueller Wohlstandsverwahrlosung." Der frühere Abgeordnete Fritz Felgentreu sprach von Protagonisten einer gescheiterten Politik, die "Zauberformeln von 1982" heraufbeschwörten.

Merz setzt auf Einigkeit in der Koalition

Bundeskanzler Friedrich Merz setzt angesichts der Kritik an der Verteidigungspolitik seiner Regierung auf Einigkeit innerhalb der schwarz-roten Koalition. "Wir sind uns in der Bundesregierung zwischen CDU, CSU und SPD in der Bewertung des Krieges, den Russland gegen die Ukraine führt, und in den Konsequenzen, die es daraus zu ziehen gilt, vollkommen einig", sagte der CDU-Vorsitzende in Berlin. "Und ich setze darauf, dass diese Einigkeit auch bestehen bleibt", fügte er hinzu.

Kritik von CDU und Grünen

Unions-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter schrieb auf X: "Wann wird begriffen, dass Russland nicht verhandeln und keinen Frieden will." Auch die Fraktionschefin der Grünen, Britta Haßelmann äußerte sich: "Wir alle wünschen uns Frieden, und niemand sehnt ihn mehr herbei als die Menschen in der Ukraine. Leider wurden alle Versuche, einen Waffenstillstand zu erreichen oder Friedensgespräche zu führen, von Präsident Putin durchkreuzt und abgelehnt." Das Papier blende ernste Realitäten aus und werde der wahren Bedrohung nicht gerecht.

Debatte vor SPD-Parteitag - zur Unzeit

Beifall kam von der AfD. "Wenn nun selbst prominente SPD-Politiker eine Kurskorrektur fordern, dann ist das ein spätes, aber wichtiges Signal", sagte der außenpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Markus Frohnmaier, der Nachrichtenagentur AFP. Die Initiatoren des SPD-"Manifests" hätten erkannt, dass der "Konfrontationskurs mit Russland in die Sackgasse" führe, sagte Frohnmaier.

Für die SPD kommt die Initiative und die damit einhergehende Unruhe zur Unzeit: Die Genossen treffen sich vom 27. bis 29. Juni zum Parteitag, bei dem auch wichtige Personalentscheidungen anstehen. Wenige Tage vorher finde der NATO-Gipfel statt, bei dem weitreichende Mehrausgaben für Verteidigung- und Sicherheit beschlossen werden sollen. Gegen diese Pläne stellt sich die "Manifest"-Initiative deutlich.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 11. Juni 2025 um 09:06 Uhr.