Merz und Preiß im Gespräch
interview

Merz zum Krieg in Nahost "Der Iran ist ein Terrorregime"

Stand: 17.06.2025 19:01 Uhr

"Es wäre gut, wenn dieses Mullah-Regime an sein Ende käme": Kanzler Merz betont im ARD-Interview Israels Recht auf Selbstverteidigung. Der Iran dürfe keine Atomwaffe besitzen. Im Zollstreit mit den USA hofft er auf eine Einigung im Sommer.

ARD: Am Freitag hat ein souveräner Staat - Israel - angefangen, einen anderen souveränen Staat - den Iran - zu bombardieren. Ist das aus Ihrer Sicht ein Angriffskrieg?

Friedrich Merz: Wir haben das ganze Wochenende intensiv über das Thema beraten, auch auf dem G7-Gipfel in Kanada war es eines der wichtigsten Themen. Und wir haben dazu bereits gestern eine Erklärung verabschiedet. Darin wurde das Selbstverteidigungsrecht des Staates Israel noch einmal betont und der Charakter des Regimes in Teheran beschrieben - nämlich als ein Regime, das für den Terror auf der Welt maßgeblich verantwortlich ist. Aus unserer Sicht ist es inakzeptabel, dass der Iran dabei ist, eine Atomwaffe zu bauen. Insofern macht Israel jetzt von seinem Recht auf Selbstverteidigung in eigener Verantwortung Gebrauch.

Das ARD-Interview mit Kanzler Merz in voller Länge

ARD: Israel argumentiert mit einem Präventivschlag. Eine wichtige Bedingung dafür ist, dass ein Angriff des anderen Landes unmittelbar bevorstand. Sie haben in der Nacht mit Benjamin Netanjahu telefoniert. Hat er Ihnen Argumente dafür geliefert, dass ein Angriff des Iran auf Israel unmittelbar bevorstand?

Merz: Diese Argumente gab es schon am Tag vorher. Da hatte es von der Internationalen Atomenergiebehörde eine Erklärung gegeben, dass der Iran sich erneut nicht an die Verabredungen gehalten hat, Zugang zu den gesamten Anreicherungsanlagen zu ermöglichen, die es im ganzen Land verteilt ja in großer Zahl gibt. Der Iran hat unmittelbar danach erklärt, er würde jetzt die Anreicherung forciert fortsetzen.

ARD: Aber ist das ein Kriegsgrund? Es waren ja noch Gespräche mit den USA für das Wochenende geplant.

Merz: Das ist eine Entscheidung der israelischen Regierung gewesen, die sie in eigener Zuständigkeit und Verantwortung getroffen hat. Aber offensichtlich hat Israel die Bedrohung als so ernsthaft angenommen, dass sie sich zu dieser militärischen Antwort entschieden hat. Das Land hat das Recht, sich selbst zu verteidigen. Und wenn die israelische Regierung diesen Anlass jetzt gekommen sah, dann habe ich keine Veranlassung, dem öffentlich zu widersprechen.

"Auslöschung des Staates Israel zur Staatsdoktrin erhoben"

ARD: Weil es ja viele Länder gibt, die sich von anderen Ländern bedroht sehen: Machen Sie sich Sorgen, dass das Völkerrecht abgelöst wird durch das Recht des Stärkeren?

Merz: Das ist eine singuläre Situation, die wir im Mittleren Osten seit Jahren sehen. Israel ist umgeben von Ländern, deren große Mehrzahl die Auslöschung des Staates Israel sozusagen zur Staatsdoktrin erhoben hat. Das Land, das sich seit Jahrzehnten am meisten hervorgetan hat, ist der Iran und dieses Mullah-Regime. Israel ist bedroht gewesen und durch ein Atomwaffenprogramm zusätzlich bedroht worden. Wir haben das hier gemeinsam gestern festgehalten, dass der Iran nicht in den Besitz der Atomwaffe kommen darf und dies auch in den Zusammenhang mit dem Selbstverteidigungsrecht des Staates Israel gestellt.

ARD: Auf welche Weise soll das Atomprogramm beendet werden: militärisch oder durch neue Gespräche?

Merz: Die Lage hat sich ja nun in den letzten vier Tagen deutlich verändert. Es ist jetzt eine militärische Antwort gegeben, nachdem jahrzehntelange diplomatische Bemühungen gescheitert waren. Die US-Regierung ist schon vor einigen Jahren aus den Gesprächen ausgestiegen, die Europäer sind geblieben, in der Hoffnung, dass sich vielleicht doch noch etwas zum Besseren wenden lässt. Diese Hoffnung ist letztmalig in der vergangenen Woche grob enttäuscht worden.

ARD: Hoffen Sie dann auch, dass die USA jetzt diese Atomanlagen militärisch - und die USA sind offenbar notwendig dafür - zerstören werden, um dieses Programm zu beenden?

Merz: Es gibt eine Anlage, die so tief verbunkert ist, dass die israelische Armee offensichtlich keine Waffen besitzt, um mit bunkerbrechenden Waffen diese Anlage zu zerstören. Ob die amerikanische Regierung sich dazu entschließt, das zu tun, vermag ich im Augenblick nicht zu sagen. Ich vermute, dass das unter anderem Gegenstand der Beratungen ist, die die amerikanische Regierung jetzt in Anwesenheit des amerikanischen Präsidenten in Washington miteinander führt. Eine Entscheidung ist offensichtlich noch nicht gefallen. Ich kann dem nicht vorgreifen.

"...dann wird Israel den Weg zu Ende gehen"

ARD: Sie haben eben gesagt, es gibt eine jahrzehntelange Bedrohung Israels durch den Iran und die Lage hat sich in den letzten Tagen auch geändert. Wäre es dann nicht konsequent, dass dann auch auf diesem Weg zu Ende zu bringen?

Merz: Es gibt immer noch die Möglichkeit für den Teil der Regierung im Iran, der noch handlungsfähig ist, zurückzukehren an den Verhandlungstisch und Gespräche zu führen. Das Angebot steht. Wenn die Regierung das will, kann man das sofort tun. Aber die Entscheidung liegt jetzt zunächst einmal bei dieser Regierung. Und wenn sie nicht bereit ist, die Gespräche aufzunehmen, dann wird Israel den Weg zu Ende gehen.

ARD: Der israelische Premier Netanjahu hat gestern auch gesagt: Man kann die Krise beenden, indem man Ajatollah Ali Chamenei tötet. Teilen Sie die Einschätzung?

Merz: Das ist eine Einschätzung des israelischen Ministerpräsidenten, die er von sich gegeben hat. Ich vermute mal, dass er Anlass gehabt hat, diese Äußerung auch öffentlich zu tun. Gut wäre jedenfalls, wenn diese Regierung des Iran in Zukunft keinen Einfluss mehr hätte auf das Land, das ja nun in einer großen Zahl auch Menschen hat, die sich vom Joch dieser Regierung schon seit langer Zeit befreien wollen. Wir haben es hier mit einem Terrorregime zu tun - nach innen wie nach außen. Es wäre gut, wenn dieses Regime an sein Ende käme.

"Ich bin und bleibe Optimist"

ARD: Aber ist das wirklich eine Option Israels? Da geht es ja weniger um das Existenzrecht, sondern im Prinzip um das Auswechseln des Regimes. Ist das eine Option, die aufgrund der Vorgeschichte Israel offensteht?

Merz: Wir wissen ja aus der Geschichte der letzten Jahrzehnte, dass ein Regime-Change nicht immer zum gewünschten Ergebnis führt. Aber wir haben auch gute Beispiele. In Syrien hat es den Sturz des Assad-Regimes gegeben. Und seitdem gibt es eine neue Regierung, die versucht, das Land zu befrieden. Und es kehren jetzt viele Syrer in ihre Heimat zurück, die vorher vor dem alten Regime geflüchtet sind. Also, es gibt auch gute Beispiele in der Region. Ich bin und bleibe Optimist, dass es auch in diesem Konflikt eine gute Lösung gibt und dass der Frieden im Mittleren und Nahen Osten vielleicht sogar ein Stück näher rückt.

"Es hat hier keine überstürzte Abreise gegeben"

ARD: Der amerikanische Präsident hat entschieden, vom G7-Gipfel abzureisen. Haben Sie mitbekommen, was genau bei ihm diese Entwicklung ausgelöst hat? Was genau steht da jetzt in Washington im Raum?

Merz: Es gab am späten Nachmittag die Nachricht an die sogenannten Sherpas - also an die Beauftragten der Staats- und Regierungschefs - dass der amerikanische Präsident im Verlauf des Abends nach Washington zurückreisen werde. Er hat das mit der internationalen Lage erklärt - sowohl Russland/Ukraine als auch Iran/Israel. Dass er nicht ganz Unrecht hat, die Lage so einzuschätzen, zeigen die erneuten Bombardements der russischen Seite in der Ukraine mit vielen Toten in der letzten Nacht in Kiew. Also, es gibt Grund und Anlass genug, jetzt auch in Washington zu sein. Wir haben gestern Abend ausführlich über alle diese Themen gesprochen. Und es hat hier keine überstürzte Abreise gegeben, sondern eine geplante Abreise nach einem ausführlichen Tag der Beratungen und der Gespräche, die bis in den Abend hinein gedauert haben.

NATO-Mitgliedschaft der Ukraine "nicht vom Tisch"

ARD: Zwei Fragen noch zu den Themen, die heute anstehen: Sie werden sich mit der Unterstützung der Ukraine auseinandersetzen. Ist für Sie neben der militärischen Unterstützung, neben der wirtschaftlichen Unterstützung auch eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine weiter etwas, das auf dem Tisch liegt?

Merz: Die Ukraine hat angeboten bekommen, Mitglied der Europäischen Union zu werden. Der Prozess ist eröffnet. Die NATO-Mitgliedschaft ist nicht vom Tisch. Aber sie ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein Thema - sie kann kein Thema sein, weil ein Land, das im Kriegszustand ist, nicht in die NATO aufgenommen werden kann - aber in der längeren Perspektive natürlich. Nur: Jetzt muss erstmal das gemacht werden, was die Ukraine angeboten hat, ihrerseits angeboten hat: nämlich einen bedingungslosen Waffenstillstand. Dieses Angebot sollte Putin jetzt wirklich endlich annehmen. Und dann muss man über ein Friedensabkommen verhandeln. Aber selbst davon sind wir noch offensichtlich ziemlich weit entfernt.

Ende des Zollstreits vor der Sommerpause?

ARD: Ein wichtiges Thema für die deutsche Wirtschaft ist der Zollkonflikt mit den USA. Er kostet jeden Tag die Firmen sehr, sehr viel Geld und Marktanteile. Andere Länder, die auch hier präsent waren, wie zum Beispiel Kanada oder Großbritannien, sind jetzt sozusagen einem Deal sehr nahe, die Europäische Union noch nicht. Hat die Europäische Union die richtige Verhandlungsstrategie?

Merz: Wir nähern uns in kleinen Schritten einer Einigung. Ich gehe davon aus, dass diese Einigung vor der Sommerpause möglich sein wird und dass wir dann auch ein ähnliches Abkommen hinbekommen, wie die Vereinigten Staaten von Amerika mit dem Vereinigten Königreich abgeschlossen haben. Das ist gestern hier auch gemeinsam verkündet worden zwischen Donald Trump und Keir Starmer, dem britischen Premierminister. Also, wir nähern uns in kleinen Schritten einer Lösung - so hoffe ich es jedenfalls.

Das Interview wurde für die schriftliche Fassung redigiert und gekürzt.