Kampfjet am Himmel.

Sicherheitsexperte Krause sieht viel Handlungsbedarf bei Bundeswehr

Stand: 23.06.2025 15:39 Uhr

Die Bundeswehr hat großen Nachholbedarf. Das beklagt Joachim Krause vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel schon seit geraumer Zeit. Diese Defizite werden auch auf dem NATO-Gipfel in Den Haag am Dienstag Thema sein.

Unter anderem neue Ziele für die Verteidigungsausgaben der NATO-Mitgliedstaaten sollen auf dem Gipfel beschlossen werden. Der Vorschlag von NATO-Generalsekretär Mark Rutte: Bis zum Jahr 2032 sollen die Länder mindestens 3,5 Prozent ihrer jährlichen Wirtschaftsleistung für Verteidigungsausgaben und 1,5 Prozent für verteidigungsrelevante Infrastruktur aufwenden. Im Interview mit NDR Info erklärt Sicherheitsexperte Krause, wo er die größten Baustellen bei der Bundeswehr sieht - auch im Norden.

Herr Krause, seit dem russischen Angriff auf die Ukraine und spätestens seitdem Donald Trump erneut US-Präsident ist, ist deutlich geworden, dass Europa stärker als bisher in der Lage sein muss, sich selbst militärisch zu verteidigen. Reichen die bisherigen Verteidigungsausgaben Deutschlands?

Joachim Krause: Im Augenblick stehen wir noch bei ungefähr 90 Milliarden Ausgaben für Verteidigung. Das ist noch nicht genug. Das, was in den letzten 20 Jahren versäumt worden ist, kann man nicht in ein bis zwei Jahren wieder aufholen. Und die Frage stellt sich auch, ob wir nicht die Wehrpflicht brauchen. Der Verteidigungsminister strebt ja eine Bundeswehr an, die unter Einbeziehung von Reservisten, 420.000 Mann und Frauen innerhalb sehr kurzer Zeit aufstellen soll. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das im Augenblick noch nicht möglich ist. Da ist an allen möglichen Ecken und Kanten noch sehr viel zu machen.

Bei der Bundeswehr muss also nachgerüstet werden. Wo ist der Bedarf am größten?

Krause: Das trifft für alle Dinge zu, insbesondere für die Luftraumverteidigung. Hier sind wir wirklich so etwas von blank: Es müssen mehr Patriot-Systeme her oder auch das israelische Arrow-System. Und wir müssen sehen, dass wir uns zunehmend von den Amerikanern unabhängig machen, insbesondere im Bereich der Aufklärung.

Ganz wichtig ist es auch, im Bereich der Drohnen-Kriegführung jetzt endlich mal auf die Füße zu kommen. Und wir sollten im Kontakt mit den Ukrainern vor allen Dingen versuchen, dass wir Fähigkeiten aufbauen, wie wir relativ schnell die modernsten Formen von Drohnen produzieren können. Denn es hat auch keinen Zweck, wenn die Bundeswehr jetzt ein paar Hunderttausend Drohnen kauft und die sind in zwei Jahren schon wieder angesichts der rüstungstechnischen Entwicklung überholt. Und wir müssen auch sehr in die Verteidigung gegen Drohnen investieren.

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Außerdem müssen wir die Brigade, die in Litauen ist, vollständig auffüllen, mannschaftsmäßig und auch von der Bewaffnung her. Und wir müssen sehen, dass wir drei Divisionen voll bekommen. Das sind alles Aufgaben, die man nicht in einem Jahr lösen kann, aber in mehreren Jahren geht das schon. Dazu ist natürlich eine massive Erhöhung des Verteidigungsetats notwendig und auch ein besseres Reservisten-Konzept. Bisher haben wir das Problem, dass die meisten Reservisten aufgrund von datenschutzrechtlichen Gründen gar nicht mehr erfasst werden dürfen.

Was ist vor allem für die norddeutschen Länder relevant?

Krause: In Norddeutschland muss vor allem die erweiterte Luftabwehr gestärkt werden, insbesondere die Abwehr von Marschflugkörpern, Flugzeugen und ballistischen Raketen. Russland hat in den vergangenen 20 Jahren sehr viele U-Boote und Überwasserschiffe mit Raketen und Marschflugkörpern ausgerüstet, die in der Ostsee, der Nordsee, im Atlantik, im Weißen Meer und neuerdings auch auf dem Ladogasee stationiert sind. Dagegen sind wir bislang weitgehend machtlos und es bedarf einer entsprechenden Abwehrfähigkeit.

Dies gilt ganz besonders für große Städte, unter ihnen diejenigen mit militärischen Einrichtungen wie Kiel, Rostock und Wilhelmshaven. Des Weiteren muss die Komponente Heimatverteidigung wieder aufgebaut werden. Dazu gehört auch der Umgang mit Drohnen. Und die Marine muss zusammen mit den anderen Verbündeten in der Lage sein, in der Ostsee Überlegenheit gegenüber der russischen Marine herzustellen und gegen russische Fliegerangriffe gewappnet zu sein.

Sehen Sie den politischen Willen, die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands zu erhöhen?

Krause: Ich denke, dass wir - zumindest, was die politische Führung betrifft - auf dem richtigen Weg sind. Da kommt es jetzt darauf an, dass die Bundesregierung endlich mal Butter bei die Fische macht, wie man das auf Deutsch so schön sagt: Dass die Projekte, die von der militärischen Führung und von der NATO angegeben sind, auch tatsächlich umgesetzt werden. Denn die NATO hat hier einen umfangreichen Prozess der Verteidigungsplanung. Der läuft ja schon seit vielen Jahren und ist jetzt natürlich ganz auf Notfälle an der Ostgrenze der NATO bezogen.

Und da haben wir eine gewisse Rolle: Wir sind in Litauen die Führungsnation. Und wir haben Zusagen gemacht, dass wir dort nicht nur eine Brigade unterhalten, sondern diese Brigade auch innerhalb sehr kurzer Frist zu einer ganzen Division aufwachsen lassen können im Ernstfall. Ob wir das schon alles können, da habe ich meine Zweifel. Das muss jetzt so schnell wie möglich angegangen werden. Das fängt an bei einfachen Ausrüstungsgegenständen bis schweren oder leichten Waffen - und natürlich auch die Bestückung mit entsprechenden Soldaten und Soldatinnen.

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Wie sieht es konkret mit der Personalstärke aus?

Krause: Wir haben in Deutschland nicht so viel Personal. Es sind gerade 0,2 Prozent der Bevölkerung in den Streitkräften. In den USA sind das 0,35 Prozent. Das macht schon einen Unterschied aus. Und wenn wir das so wie in den USA nicht hinkriegen, dann müssen wir eben die Wehrpflicht einführen. Aber die Wehrpflicht greift auch nicht so schnell. Das dauert noch ein paar Jahre. Denn sie können Wehrpflichtige nicht gleich in Kriegseinsätze schicken. Die Wehrpflicht dient eigentlich dazu, eine möglichst große Reserve-Streitmacht herzustellen und gegebenenfalls Truppeneinheiten zu verstärken, die ansonsten unterbesetzt wären.

Wenn man sich anschaut, was Deutschland oder die anderen Staaten der NATO versäumt haben und was sie aufholen müssen, dann kommen Summen in einer Größenordnung heraus, die auf das Bruttoinlandsprodukt bezogen tatsächlich drei bis vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmachen. Das drückt die Ernsthaftigkeit aus, mit der die Ausrüstung und Aufrüstung der Bundeswehr und anderer Streitkräfte voranschreiten sollte.

Können stillgelegte Bundeswehrstandorte reaktiviert werden?

Krause: Das hängt von jedem Standort ab. Einige sind ja umgewandelt worden in Technologiezentren oder in Einkaufszentren. Da wird es schwer sein. Aber wenn ein Standort brach liegt, dann kann man den natürlich wieder reaktivieren, denke ich mal. Es sei denn, dass die Gebäude so verfallen sind, dass man sie abreißen muss. Aber es werden auch neue Standorte geschaffen werden müssen. Das betrifft hauptsächlich das Heer. Und die Luftwaffe muss sich natürlich um die Flugplätze herumgruppieren.

Wo sehen Sie weitere Baustellen bei der Bundeswehr?

Vor allen Dingen müssen Reformen im Beschaffungswesen weitergeführt werden, denn es gibt zu viele bürokratische Hemmnisse. Und es gibt zu viele Leute in der Bundeswehr, die sich nicht trauen, da was zu machen. Sie haben Angst, wenn sie Initiative zeigen, werden sie von oben wieder eingefangen. Und diese Art von Kultur, dass man die Leute dazu erzieht, effizient zu arbeiten und nicht nach Vorschriften, die hat sich in der Bundeswehr noch nicht so besonders durchgesetzt. Im Inneren braucht es eine massive Strukturreform der Bundeswehr, die vor allem dafür sorgt, dass diese Bürokratie-Mentalität aufhört.

Das Interview führten Jan Oppel, Andrea Brack Peña und Sonja Puhl. 

Dieses Thema im Programm: NDR Info | NDR Info | 23.06.2025 | 15:00 Uhr