
Kritik an Israels Vorgehen Ende der Gaza-Blockade "fadenscheinig"
Die von Israel freigegebenen Hilfslieferungen für die Menschen im Gazastreifen sind nicht genug, kritisieren auch deutsche Hilfsorganisationen. Zudem kommt die Hilfe laut UN nicht bei den Betroffenen an.
Es war eine Kehrtwende, allerdings nur scheinbar. Am Sonntag verkündete Israels Premier Benjamin Netanjahu, dass Hilfsgüter wieder in den Gazastreifen hinein dürfen - nach fast drei Monaten der Blockade. Aber: Bei den Menschen kommen sie nicht an.
Das Ende der Blockade sei nicht mehr als ein Vorwand, um dem Vorwurf des Aushungerns der Bevölkerung des Gazastreifens zuvorzukommen, sagte der Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen, Christian Katzer, im ARD-Morgenmagazin. Die Wiederaufnahme der Gaza-Hilfslieferungen sei fadenscheinig.
UN: Hilfslieferungen noch hinter dem Grenzzaun
Die bislang 93 von Israels Regierung freigegebenen Hilfs-Lkw sind laut den Vereinten Nationen ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Hilfsgüter befänden sich unter anderem wegen fehlender Genehmigungen noch in einem von den Israelis kontrollierten Bereich hinter dem Grenzzaun, sagte der Sprecher der Vereinten Nationen, Stéphane Dujarric. Sie stecken auf der palästinensischen Seite des Grenzübergangs Kerem Shalom fest. Die Rede ist von Logistik- und Sicherheitsproblemen.
Pro Tag sollten laut Israels Regierung bis Samstag etwa 100 Trucks täglich die Grenze überqueren. Während der Feuerpause Anfang des Jahres waren jeden Tag bis zu 600 Lastwagen mit Hilfsgütern über die Grenze in den Gazastreifen gefahren.
Welthungerhilfe: Vier Tage lang 100 Lkw reichen nicht
Der Nothilfeexperte der deutschen Welthungerhilfe, Marvin Fürderer, kritisiert: "Viele Menschen sind auf der Flucht oder leben unter schlimmsten Bedingungen in Notunterkünften, ohne zu wissen, ob sie den nächsten Tag noch erleben und 500.000 von ihnen sind akut vom Hungertod bedroht. Da reicht es nicht jetzt, vier Tage lang 100 Lkw reinzulassen."
Doch selbst wenn die Hilfstransporte in den Gazastreifen gelangen, sind die Probleme dort enorm: Das Gebiet sei für die Helfer nicht sicher, sagen die UN. Fürderer gibt außerdem zu bedenken: "Der einzige Grenzübergang, der aktuell geöffnet werden soll, liegt im Süden. Das heißt, ganz realistisch für die Menschen im Norden, die mitunter besonders hart betroffen sind, wird ein großer Teil dieser Hilfe gar nicht erreichbar sein."
Märkte sind fast leergefegt
Deutschen Hilfsorganisationen sind nach wie vor die Hände die gebunden, heißt es von der Welthungerhilfe. 43 Lkw mit 1.600 Tonnen Hilfsgütern könnte die Organisation sofort ausliefern, so Nothilfeexperte Fürderer. "Wir könnten also liefern, solange der Zugang aber eingeschränkt bleibt, erreicht die Hilfe die Menschen nicht, obwohl sie längst bereitsteht."
Auch die Diakonie Katastrophenhilfe schlägt Alarm. Das humanitäre Hilfswerk der Evangelischen Kirchen in Deutschland bringt zwar keine Hilfsgüter nach Gaza, kauft aber vor Ort über Partner Essen und Medizin auf Märkten ein, um sie an Bedürftige zu verteilen. Jedoch könnten auch lokale Partner nichts mehr kaufen, und wenn doch, seien die Preise sehr hoch.
UN-Nothilfechef: Tausende Babys von Hungertod bedroht
Der Leiter der Diakonie Katastrophenhilfe, Martin Keßler, sagt: "Kinder sterben durch Hunger und gleichzeitig gehen die Kämpfe durch die Offensive weiter." Das Leid der Kinder im Gazastreifen ist besonders groß: Der UN-Nothilfechef Tom Fletcher sagte am Dienstag der BBC, dass 14.000 Babys akut vom Tod bedroht seien, sollte sie keine Hilfe erreichen.
Christian Katzer von Ärzte ohne Grenzen forderte im ARD-Morgenmagazin mehr internationalen Druck auf Israel. Auch die deutsche Regierung müsse ihre Kanäle mit Israel nutzen, um auf die Einhaltung des humanitären Völkerrechts zu pochen und darauf zu drängen, humanitäre Hilfe zuzulassen - "weil die Menschen sonst verhungern".
Ärzte ohne Grenzen kritisiert kurzfristige Evakuierungen
Katzer kritisierte zudem die verstärkten Angriffe im Zuge der neuen Offensive Israels. "Wir haben immer wieder Patienten, die wir nach Luftangriffen behandeln und aufpäppeln und die wir dann nach wenigen Wochen mit ähnlichen Verletzungen wiedersehen. Die Menschen werden immer wieder neu getroffen", berichtete er.
Israelische Evakuierungsaufforderungen seien meist sehr kurzfristig, was auch dazu führe, dass die Menschen immer wieder ihre wenigen Besitztümer verlören. Allein in der vergangenen Woche seien mehr als 30 medizinische Einrichtungen durch Bodentruppen oder Luftangriffe zerstört oder beschädigt worden, so Katzer. Eine von Ärzte ohne Grenzen betriebene Klinik habe schließen müssen.
Laut WHO sind die Kliniken im nördlichen Gazastreifen "ernsthaft gefährdet, vollständig geschlossen zu werden". Die WHO hat sei Beginn des 19-monatigen Krieges Israels gegen die Terrororganisation Hamas fast 700 Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen im Gazastreifen dokumentiert.
Spendenbereitschaft gering
Auch zu Hause in Deutschland haben die Helfer Probleme, sagt Maria Rüther, Hauptgeschäftsführerin von Aktion Deutschland hilft. Das Bündnis sammelt Spenden für deutsche Hilfsvereine wie den Arbeiter Samariter Bund, action medeor, Care oder den Malteser Hilfsdienst ein.
"Die Lage und der Krieg in Gaza spiegelt sich auch in der Spendenbereitschaft wider." Es sei klar, wenn Hilfskorridore nicht existierten oder geschlossen seien, dann wecke das auch kein Vertrauen bei den Spendern, erklärt Rüther. Etwa fünf Millionen Euro habe das Bündnis an Spenden seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel für die Hilfe in Nahost eingesammelt. Das sei vergleichsweise gering.
Mit Informationen von Bettina Meier, ARD Tel Aviv